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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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waren. Das kam mir wie ein böses Omen vor.
    An der Einfahrt zur Atlantic-Waste-Deponie hielt ich an und blickte auf eine weite, kahle Mondlandschaft hinaus, über der gerade die Sonne unterging, als stünde sie in Flammen.
    Schwere Lastwagen in glänzendem Weiß und poliertem Chrom krochen auf dem Gipfel eines stetig wachsenden Müllbergs umher. Gelbe Raupenbagger erinnerten an angriffslustige Skorpione. Ich saß da und beobachtete, wie eine Staubwolke sich von der Müllhalde entfernte und mit hoher Geschwindigkeit über das unebene Gelände wogte. Als sie mich erreichte, entpuppte sie sich als ein schmutzigroter Ford Explorer, am Steuer ein junger Mann, der sich hier offensichtlich zu Hause fühlte.
    »Kann ich Ihnen helfen, Ma'am?« fragte er mit gutturalem Südstaatenakzent. Er wirkte gespannt und aufgeregt.
    »Ich bin Dr. Kay Scarpetta«, erwiderte ich und zeigte ihm die Messingplakette in der kleinen schwarzen Hülle, die ich immer zog, wenn ich an einem Tatort niemanden kannte.
    Er studierte meinen Ausweis und schaute mich dann mit dunklen Augen an. Sein Jeanshemd war durchgeschwitzt und sein Haar im Nacken und an den Schläfen naß.
    »Man hat mir gesagt, der Gerichtsmediziner würde kommen, und ich solle nach ihm Ausschau halten«, sagte er.
    »Tja, das bin ich«, antwortete ich kühl.
    »Ja, natürlich, Ma'am. Ich wollte damit nicht sagen ...« Er verstummte, und sein Blick wanderte über meinen Mercedes. Er war von einem feinen und hartnäckigen Staub bedeckt, der durch alle Ritzen drang. »Ich schlage vor, Sie lassen Ihren Wagen hier und fahren mit mir«, setzte er hinzu. Ich schaute zur Müllhalde hinauf. Raupenbagger mit drohend aufgerichteten Schaufeln und Planierschilden standen reglos auf dem Gipfel. Zwei zivile Polizeiwagen und ein Krankenwagen erwarteten mich am Ort des Geschehens, und Polizisten hatten sich als winzige Gestalten um das Heck eines Lastwagens versammelt, der kleiner war als die anderen. Daneben stocherte jemand mit einem Stock im Boden herum, und ich wurde langsam ungeduldig.
    »Okay«, sagte ich. »Dann mal los.«
    Ich parkte meinen Wagen und holte meine Arzttasche und meine Tatortkleidung aus dem Kofferraum. Der junge Mann schwieg und beobachtete neugierig, wie ich, bei weit geöffneter Tür auf meinem Fahrersitz sitzend, Gummistiefel anzog, die von jahrelangem Waten durch Flüsse und Wälder, auf dem Weg zu Mordopfern und Ertrunkenen, stumpf und verschrammt waren. Ich schlüpfte in ein großes, ausgeblichenes Jeanshemd, das ich während einer Ehe, die mir inzwischen irreal vorkam, meinem Exmann Tony entwendet hatte. Dann stieg ich in den Explorer und streifte zwei Paar Handschuhe über. Ich zog mir eine OP-Maske über den Kopf und ließ sie lose um meinen Hals baumeln.
    »Kann ich Ihnen nicht verdenken«, sagte mein Chauffeur.
    »Der Gestank ist ziemlich übel, das sag' ich Ihnen.«
    »Es ist nicht der Gestank«, sagte ich. »Es sind die Mikroorganismen, die mir Sorgen machen.«
    »Oje«, sagte er besorgt. »Vielleicht sollte ich auch so ein Ding tragen.«
    »Sie sollten ohnehin nicht so dicht rangehen, daß es gefährlich für Sie werden könnte.«
    Er gab keine Antwort, und ich war mir sicher, daß das bereits geschehen war. Der Versuchung zu gaffen konnten die meisten Menschen nicht widerstehen. Je grausiger der Fall, desto weniger.
    »Tut mir leid, daß es hier so staubig ist«, sagte er, während wir am Ufer eines kleinen, von Enten bevölkerten Löschteichs durch ein Goldrutendickicht fuhren. »Wie Sie sehen, streuen wir gegen den Staub überall eine Schicht Reifenspäne, und ein Straßenreinigungsfahrzeug sprüht sie fest. Aber das scheint alles nicht so richtig zu helfen.« Er hielt nervös inne, bevor er weitersprach. »Wir kriegen hier pro Tag dreitausend Tonnen Müll rein.«
    »Wo kommt der her?« fragte ich.
    »Aus dem gesamten Gebiet zwischen Littleton, North Carolina, und Chicago.«
    »Was ist mit Boston?« fragte ich, denn die ersten vier Opfer stammten vermutlich von dort.
    »Nein, Ma'am.« Er schüttelte den Kopf. »Kann aber noch werden. Wir sind hier unten sehr viel preiswerter. Fünfundzwanzig Dollar pro Tonne. In New Jersey zahlt man neunundsechzig und in New York achtzig. Außerdem recyceln wir, sortieren Giftmüll aus und fangen das Methangas auf, das beim Verrotten des Mülls entsteht.«
    »Wie lange haben Sie geöffnet?«
    »Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche«, sagte er voller Stolz.
    »Und Sie haben die Möglichkeit,

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