Der Keim des Verderbens
Kapitel 1
Die Nacht brach klar und kalt herein in Dublin, und der Sturm heulte draußen vor meinem Zimmer wie tausend Orgelpfeifen. Windstöße ließen alte Fensterscheiben mit einem Klang erzittern, als huschten Geister vorbei, während ich zum wiederholten Male die Kissen zurechtrückte und mich schließlich in einem Gewirr irischen Leinens auf den Rücken legte. Doch ich fand keinen Schlaf, und die Bilder des Tages kehrten zurück. Ich sah kopflose Körper ohne Gliedmaßen vor mir und setzte mich schwitzend auf.
Ich machte Licht, und plötzlich umgab mich das Shelbourne Hotel mit der warmen Ausstrahlung kostbarer alter Hölzer und dunkelroter Plaids. Während ich einen Morgenmantel anzog, verweilte mein Blick auf dem Telefon neben dem Bett, in dem ich mich so unruhig hin und her gewälzt hatte. Es war fast zwei Uhr morgens. In Richmond, Virginia, war es jetzt fünf Stunden früher, und Pete Marino, Chef der Mordkommission des städtischen Police Departments, war bestimmt noch wach. Vermutlich sah er gerade fern, rauchte und aß irgendwas Ungesundes, falls er nicht auf den Straßen unterwegs war.
Ich wählte seine Nummer, und er nahm ab, als habe er direkt neben dem Telefon gesessen.
»Spendieren oder Schikanieren?« Er sprach laut und war ziemlich angetrunken.
»Sie sind ein bißchen früh dran«, sagte ich und bereute meinen Anruf bereits. »Halloween ist erst in ein paar Wochen.«
»Doc?« Er hielt verwirrt inne. »Sind Sie das? Wieder in Richmond?«
»Immer noch in Dublin. Was ist das für ein Lärm?«
»Bloß ein paar von den Jungs. Wir sind so häßlich, wir brauchen keine Masken. Bei uns ist jeden Tag Halloween. He! Bubba blufft«, brüllte er.
»Immer glaubst du, daß alle bluffen«, gab eine Stimme zurück.
»Das kommt, weil du schon zu lange Kriminalbeamter bist.«
»Quatsch! Marinos kriminalistischer Spürsinn reicht doch noch nicht mal, um seinen eigenen Schweißgeruch zu bemerken.«
Im Hintergrund brach lautes Gelächter aus, und das betrunkene Sprücheklopfen ging weiter.
»Wir spielen Poker«, sagte Marino zu mir. »Verdammt, wie spät ist es eigentlich bei Ihnen?«
»Das sag' ich Ihnen lieber nicht«, antwortete ich. »Ich habe Ihnen etwas Beunruhigendes mitzuteilen, aber es hört sich nicht so an, als wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.«
»Nein. Nein, warten Sie. Ich nehm' nur eben das Telefon mit raus. Mist. Immer muß diese Scheißschnur sich verheddern, kennen Sie das? Verdammte Kacke.« Ich hörte seine schweren Schritte und das Rücken eines Stuhls. »Okay, Doc. Was zum Teufel ist denn los?«
»Ich habe den Großteil des Tages damit zugebracht, mit meiner hiesigen Kollegin über die Deponiemorde zu sprechen.
Marino, ich habe immer mehr den Verdacht, daß die Serie von Zerstückelungen in Irland und die Morde in Virginia das Werk ein und derselben Person sind.«
Er brüllte: »Ruhe da drinnen, Leute!«
Während ich die Bettdecke um mich herum zurechtzog, hörte ich, wie er sich noch weiter von seinen Kumpeln entfernte.
Ich griff nach dem letzten Rest Black-Bush-Whiskey, den ich mit ans Bett genommen hatte.
»Dr. Foley hat die fünf Fälle in Dublin bearbeitet«, fuhr ich fort. »Ich habe mir alle Akten angesehen. Rümpfe ohne Gliedmaßen. Die Wirbelsäule am unteren Ende des fünften Nackenwirbelkörpers horizontal durchtrennt. Arme und Beine an den Gelenken abgetrennt, was, wie gesagt, ungewöhnlich ist. Die Opfer sind unterschiedlicher Hautfarbe, Alter schätzungsweise zwischen achtzehn und fünfunddreißig. Keines der Opfer konnte identifiziert werden, und der Totenschein lautet bei allen auf Mord, Todesursache unbekannt.
In keinem der Fälle hat man je Kopf oder Gliedmaßen gefunden. Die Rümpfe wurden allesamt auf privaten Mülldeponien entdeckt.«
»Verdammt, das kommt mir bekannt vor«, sagte er.
»Da sind noch andere Einzelheiten. Aber die Parallelen sind in der Tat unübersehbar.«
»Also ist dieser Wahnsinnige jetzt vielleicht in den Staaten«, sagte er. »Dann war es wohl doch verdammt gut, daß Sie rübergeflogen sind.«
Anfangs war er keineswegs dieser Ansicht gewesen. Ebenso wie alle anderen. Ich war Chief Medical Examiner von Virgina, und als das Royal College of Surgeons mich eingeladen hatte, an der medizinischen Hochschule von Trinity eine Reihe von Vorlesungen zu halten, konnte ich mir die Gelegenheit, nebenher die Dubliner Mordfälle zu untersuchen, einfach nicht entgehen lassen. Marino hielt das für Zeitverschwendung, und das FBI war
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