Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
eine Kämpferin, die Kleine. Voller Feuer, gerade so, wie ich es mag.«
»Ihr Bestien!«, schrie sie. »Lasst mich los! Will mir denn niemand helfen!«
Ihre Rufe verhallten ungehört, wie sie befürchtet hatte, sie gingen in dem Wind und dem rauen Lachen der Männer unter. Auf einmal hörte Ariana ein Geräusch, das wie Donnergrollen am Himmel klang: ein rhythmischer, dumpfer Laut, der die hölzernen Planken unter ihr erzittern ließ. Einmal mehr bäumte sie sich keuchend gegen ihre Widersacher auf, selbst wenn sie nicht wusste, wie lange sie sich noch gegen die rauen Gesellen zur Wehr setzen konnte.
»Wie wär’s, wenn du uns einen kleinen Vorgeschmack gibst, bevor der Captain dich besucht, ma petite?«
Bei diesen Worten drehte sich Ariana vor Abscheu beinah der Magen um, während der widerliche Atem des Mannes ihr fast die Besinnung raubte. Unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte senkte sie den Kopf und riss ihn im nächsten Augenblick ruckartig nach hinten. Mit einem harten, knackenden Laut prallte ihr Hinterkopf gegen die Nase ihres Peinigers. Vor Schmerz schrie dieser auf, gab Ariana taumelnd frei und hielt sich beide Hände vors Gesicht. Ariana wollte fliehen, kam aber nicht weiter als zwei Schritte, da sich nun wieder der andere Schurke auf sie stürzte.
»Das hättest du nicht tun sollen«, zischte er böse. »Mein Freund René ist ein sehr eitler Bursche.«
Aber die gebrochene Nase sollte noch die kleinste Sorge des Matrosen sein, denn aus dem Halbdunkel der Docks löste sich eine dunkle Gestalt, die plötzlich drohend hinter ihm aufragte. Vergeblich versuchte Ariana ein Gesicht in dem dunklen Oval der Kapuze des Unbekannten zu erkennen, doch der Wind trieb ihr den Schneeregen in die Augen und raubte ihr die Sicht. Sie konnte nur die düsteren Umrisse einer hünenhaften Gestalt und die Klinge eines großen Breitschwerts erkennen, die im trüben Grau des Tages aufblitzte.
James!, durchzuckte es Ariana in einem Anflug von Schrecken und gleichzeitiger Erleichterung. Das gleichmäßige, dumpfe Geräusch, das sie vernommen hatte, war kein Donnergrollen gewesen, sondern der Hall der schweren Stiefel auf den Planken. Gott sei es gedankt, ihr Begleiter hatte sie gefunden! Aber wie war es ihm gelungen, Ferrands Männern zu entkommen?
Der alte Ritter hatte noch nie so Furcht einflößend und todbringend ausgesehen wie in diesem Augenblick, als er sich dem Mann namens René von hinten näherte. Eben hustete der Schurke noch und überhäufte Ariana mit üblen Flüchen, im nächsten Moment fiel er der unbarmherzigen Klinge ihres Retters zum Opfer. Tödlich getroffen sackte der Mann röchelnd in sich zusammen, taumelte noch am Rand des Piers entlang und stürzte schließlich in den eiskalten Fluss.
»Was, zum Teufel … «
Ungehalten fluchend griff Renés Gefährte nach seiner Waffe, wobei er Ariana so heftig von sich stieß, dass sie unsanft mit den Knien auf dem Dock landete. Sie prallte gegen mehrere Eichenfässer, die an der Seite einer Landungsplanke festgezurrt waren, und hätten diese und einige zusammengelegte Verladenetze ihren Sturz nicht aufgehalten, so wäre sie in die eisigen Fluten der Themse gerutscht.
Wenige Schritte von ihr entfernt kämpften die beiden Männer einen Kampf auf Leben und Tod. Das Schwerterklirren überlagerte das Knarren der Holzbohlen und das Heulen des Sturms. Fasziniert und erschrocken zugleich beobachtete Ariana, wie James jedem Streich seines Gegners gekonnt auswich, um ihm im Gegenzug mit einem wahren Hagel von Schlägen zuzusetzen, bis Ferrands Mann schließlich den Halt verlor und, nur noch auf ein Knie gestützt, Hieb um Hieb parieren musste.
Der Seemann war rasch besiegt. Er ließ die Waffe fallen, klammerte sich an den Saum von James’ Mantel und winselte um Gnade. Erleichterung durchströmte Ariana. Sie war froh, dass die Gefahr gebannt war. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr, als sie darauf wartete, dass James dem Mann das Leben schenkte, wie es sich für einen ehrenvollen Ritter ziemte. Für einen langen Moment verharrte ihr Retter regungslos. Wie weißer Dunst umspielte sein Atem seine Lippen, während Ferrands Mann weiterhin um sein Leben bettelte.
Mühsam und noch ein wenig benommen erhob sich Ariana, doch die furchtbare Angst war von ihr abgefallen. Neugierig, wenngleich zögerlich, trat sie vor und begriff nun auch, dass Ferrands Mann auf kein Erbarmen hoffen durfte. Erst jetzt erkannte sie, dass das Gesicht, das bislang unter der Kapuze verborgen war und das
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