Der Kelim der Prinzessin
diesen kaum gestatten, sich unserer Aufnahme zu widersetzen. So fanden wir uns bald in der Stille des Kreuzganges wieder, um die Bahre mit der ermordeten Berenice geschart. Wenn Roc von ihrem Tod in irgendeiner Weise berührt war, so gelang es ihm vollkommen, seine Gefühle zu verbergen. Ich glaube allerdings, dass Terez ihn eiskalt auf der Stelle erwürgt hätte, wenn der Trencavel jetzt in Trauer oder gar Selbstanklagen ausgebrochen wäre. Der Einzige, der ungehindert seinen Tränen freien Lauf lassen durfte, war der dicke kleine Pons de Tarascon, jüngerer Bruder der Berenice. Sein Schluchzen rührte selbst den sonst so aalglatten Guy de
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Muret. Er strich seinem Freund unbeholfen immer wieder übers Haar, wenn auch ohne Erfolg. Die Stimmung war gespannt. Bevor sie unerträglich wurde, bat David den Abt des Klosters um die Erlaubnis, die Tote auf dem Friedhof bestatten zu dürfen. Guy, der ehemalige Dominikaner, sprach das Totengebet. Als wir den Leib der kühnen Berenice, Gräfin von Tarascon und Foix, zur letzten Ruhe gebettet hatten, raffte sich endlich Roc auf und sagte, es sei gewiss auch im Sinne der Verstorbenen, wenn wir wieder Besitz von dem Palast des Herrschers nähmen. Keiner widersprach ihm, keiner sagte überhaupt ein Wort, doch irgendwie waren wir alle erleichtert.
Die restliche Nacht verbrachten wir im Konvent der Zisterzienser, und des Morgens zogen wir also an den Mauern der Großen Moschee vorbei, unter strikter Umgehung des Platzes, wo immer noch der Kelim lag -
niemand von uns hatte das Verlangen, den Blutfleck zu sehen, der kurz vor der Stelle sichtbar sein musste, wo sich der Thron erhoben hatte. Mit einem verstohlenen Blick nahm ich wahr, dass alle Aufbauten inzwischen entfernt worden waren, einschließlich des Podiums, das der Elefant zertrümmert hatte, bevor ihn seine Treiber von den Raketen und der verheerenden Fackel am Schwanz befreit und schließlich beruhigt hatten.
Unangefochten, allerdings auch von niemandem willkommen geheißen, hielten wir Einzug in den Palast, wo uns schon die Armenier erwarteten, während die Ritter aus Antioch die ganze Zeit über unsere zurückhaltenden schweigenden Begleiter gewesen waren.
KITBOGHA UND DIE PRINZESSIN schauten von einem Hügel am Rande des Lagers der abziehenden
Mongolenarmee nach. Was Yeza in diesem Augenblick fühlte, war ihr selbst wenig klar - gewiss, der Fuchtel der bigotten Dokuz-Khatun entronnen zu sein bedeutete erst einmal ein Gefühl der Erleichterung. Wenn sie dagegen bedachte, was ihr noch alles bevorstand, war ihr weder zum Lachen noch zum Weinen zumute. Sie hatte ein flaues Gefühl im Magen, gemischt mit Wut. Ihr Zorn galt Roc. Der Trencavel machte sich die Sache 324
ziemlich leicht, er steckte den Kopf in den Sand und wartete wohl darauf, dass sie, Yeza, die Lösung fand. Wie bequem, dann ins gemachte Bett zu schlüpfen, und wenn 's der harte Thronsessel war, den sie ihm jetzt anwärmen sollte! Ärgerlich ließ Yeza ihr Pferd steigen, da sah sie eine Träne im Auge ihres bärbeißigen Gönners. Kitbogha wischte sie verstohlen weg, und gerade diese anrührende Geste führte dazu, dass sich Yeza ihrer selbstsüchtigen Gedanken schämte. Welche gefährliche Last hatte der betagte Feldherr hingegen zu schultern, nachdem man ihm - bildlich gesehen - zumindest den einen Arm und einen Fuß abgeschlagen hatte!
Für die Einnahme von Damaskus reichte der verbliebene Rest zwar allemal, aber damit war es nicht getan, so wie sich der Il-Khan das vorstellte! Es war der Griff eines schwer verletzten Bären mitten in die Honigwaben eines unübersehbaren Bienenvolks! Über kurz oder lang würden sich die moslemuun vereint gegen den Eindringling zur Wehr setzen - und dann? Yeza empfand das Bedürfnis, dem Alten zu zeigen, dass sie seine Sorgen verstand, aber es reichte nur zu einem aufmunternden Blick, den sie ihm wider besseren Wissens zuwarf.
Kitbogha seufzte tief.
Die letzten Staubwolken des entschwindenden Heeres vermengten sich mit dem dunklen Horizont. Als sie ihre Rosse wendeten, vermeinten sie beide im Dunst der Abendsonne bereits das Schimmern von Damaskus
wahrzunehmen, Verlockung und Bedrohung zugleich.
Zurück im Lager beraumte der Oberkommandierende eine Besprechung mit König Hethum, Fürst Bohemund von Antioch und Yves dem Bretonen an. Zuvor empfing er noch den Rapport seines Vertrauten Dungai, der ihm meldete, dass nicht einmal dreißig Tausendschaften übrig geblieben seien, die allerdings bestens ausgerüstet und
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