Der Ketzerlehrling
besiegelte.
Er endete gerade im Bewußtsein, frei und losgesprochen zu sein, als Hugh Beringar leise in den Kapitelsaal trat, mit einem unförmigen, in mehrere Lagen Wachstuch eingewickelten Bündel unter dem Arm.
»Wir haben ihn gefunden«, sagte Hugh, »unter der Brücke, an einer Kette hängengeblieben, an der vor Jahren einmal ein Mühlenboot vertäut war. Wir haben seinen Leichnam heimgebracht. Girard weiß alles, was wir ihm sagen konnten.
Mit Jevans Tod können wir die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Er hat den Mord gestanden, bevor er starb. Es besteht keine Veranlassung, Dinge öffentlich zu machen, die seine Angehörigen noch weiter verletzen und quälen würden.«
»So ist es«, sagte Abt Radulfus.
Sie hatten sich zu siebt in Bruder Anselms Ecke im nördlichen Kreuzgang versammelt. Chorherr Gerbert befand sich nicht unter ihnen; er hatte den Staub dieser in Sachen der Orthodoxie höchst fragwürdigen Abtei von den Reitstiefeln geschüttelt, sein von seiner Lahmheit genesenes Pferd bestiegen und sich mit seinem Leibdiener und seinen Stallburschen auf den Weg nach Chester gemacht; zweifellos überlegte er sich bereits, was er zu Earl Ranulf sagen sollte und wieviel er aus ihm herausholen konnte, ohne ihm dafür handfeste Versprechungen machen zu müssen. Der Bischof dagegen war, nachdem er gehört hatte, was Hugh mitbrachte, neugierig genug, um zu warten und selbst zu sehen, was dabei herauskam. Bei ihm befanden sich Anselm, Cadfael, Hugh, Abt Radulfus sowie Elave und Fortunata, stumm, Hand in Hand, auch wenn sie in dieser hohen Gesellschaft die Hände diskret mit ihren Körpern verdeckten. Sie waren beide von den zu plötzlichen und zu einschneidenden Erlebnissen noch ein wenig benommen und noch nicht imstande, die ebenso unvermittelte wie verwirrende Erlösung ganz zu fassen.
Hugh hatte mit wenigen Worten Bericht erstattet. Jevan von Lythwood war tot, aus dem Severn herausgeholt unter demselben Bogen derselben Brücke, unter dem er bis zum Anbruch der Nacht sein eigenes Opfer versteckt hatte. Mit der Zeit würde Fortunata sich seiner so erinnern, wie sie ihn immer gekannt hatte, freundlich, wenn auch nicht überschwenglich.
Eines Tages würde es keine Rolle mehr spielen, daß sie immer noch nicht mit Gewißheit sagen konnte, ob er sie wirklich umgebracht hätte, wie er bereits einen anderen Zeugen umgebracht hatte, anstatt auf etwas zu verzichten, was ihm letzten Endes mehr bedeutet hatte als sein eigenes Leben. Es war der Gipfel der Ironie, daß Aldwin, Conans Aussage zufolge, überhaupt nicht gesehen hatte, was sich in der Schatulle befand. Jevan hatte umsonst gemordet.
»Und das hier«, sagte Hugh, »hielt er nach wie vor in den Armen, und es war gegen den Brückenpfeiler gedrückt.«
Jetzt lag es auf Anselms Arbeitstisch und verbreitete noch ein paar Tropfen Wasser, als die Umhüllung entfernt wurde. »Es gehört, wie Ihr wißt, dieser jungen Dame, und sie hat darum gebeten, daß es hier geöffnet wird, meine Herren, vor Zeugen, die sich mit Werken wie dem, das sich möglicherweise darin befindet, auskennen.«
Während er sprach, wickelte er eine Lage nach der anderen ab. Die äußerste, angesengt und zerfetzt, hatte Hugh bereits fortgeworfen, aber Jevan hatte seinem Schatz allen überhaupt möglichen Schutz angedeihen lassen, und als die letzte Umhüllung entfernt worden war, lag die Schatulle vor ihnen, unversehrt von Feuer oder Wasser, mit dem goldenen Schlüssel nach wie vor im Schloß. Die Elfenbeinraute starrte sie mit großen byzantinischen Augen an, unter einer runden Stirn, die aussah, als wäre sie mit dem Zirkel gezeichnet worden, bevor das üppige Haar, der Bart und die Linien des Alters und der Nachdenklichkeit eingeschnitzt worden waren.
Die verschlungenen Weinranken funkelten, die polierten Kanten brachen das Licht. Keiner konnte sich dazu entschließen, den Schlüssel zu drehen und den Deckel zu öffnen.
Es war Anselm, der sie schließlich ergriff und öffnete. Von beiden Seiten lehnten sie sich vor, um zu sehen, was darin war.
Fortunata und Elave traten näher, und Cadfael machte ihnen Platz. Wer hatte mehr Recht darauf als sie?
Der Deckel hob sich über einem Einband aus purpurn eingefärbtem Pergament mit reicher Verzierung aus Blättern, Blüten und Ranken in Gold; in der Mitte, in einem zarten, goldenen Rahmenwerk prangte das Gegenstück zu dem Elfenbeinrelief auf der Schatulle: das gleiche ehrwürdige Gesicht mit der majestätischen Stirn, die gleichen
Weitere Kostenlose Bücher