Der Ketzerlehrling
gewesen sein mag, der dessen vielleicht nicht würdig ist.«
»Ich war nie der Ansicht«, sagte Radulfus unerschüttert, »daß Rang oder Gewerbe vor Gott eine Rolle spielen. Wir haben eine beeindruckende Aufzählung der Spenden dieses Mannes an unsere Kirche gehört, ganz zu schweigen von denen, die er seinen Mitmenschen gemacht hat. Und vergeßt nicht, daß er eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen hat, ein Akt des Glaubens, der von hohem Geist und Mut zeugt.«
Es war bezeichnend für Serlo, diese harmlose und unschuldige Seele – das jedenfalls dachte Cadfael später, nachdem sich der Staub gelegt hatte –, daß er sich im falschen Augenblick und mit unselig falschen Worten ins Gespräch mischte.
»Also hat guter Rat gesiegt«, erklärte er strahlend. »Ein Wort der Ermahnung und Warnung zur rechten Zeit ist immer segensreich. Ein Priester sollte wahrlich nicht schweigen, wenn er hört, daß die reine Lehre mißdeutet wurde. Seine Worte können eine vom rechten Pfad abgekommene Seele retten.«
Seine kindliche Befriedigung ging nur langsam in der lastenden Stille unter, die er ausgelöst hatte. Er schaute sich um, ohne gleich zu verstehen, und mußte feststellen, daß die meisten Augen seinem Blick auswichen und bemüht in die Ferne oder auf die eigenen, gefalteten Hände schauten, während Abt Radulfus ihn eindringlich, aber ausdruckslos musterte und Chorherr Gerbert ihn kalt und durchdringend anstarrte. Das strahlende Lächeln verschwand von Serlos rundem, unschuldigem Gesicht. »Wer Mahnungen beherzigt und Anweisungen Folge leistet, kann all seine Fehler sühnen«, erklärte er; doch sein Versuch, das auszuräumen, was immer in seinen Worten diese Betroffenheit ausgelöst haben mochte, mißlang. Seine Stimme verebbte schwach.
»Welche Lehre«, wollte Gerbert mit finsterer Entschlossenheit wissen, »hat dieser Mann mißdeutet?
Welchen Anlaß hatte dieser Priester, ihn zu ermahnen? Wollt Ihr sagen, daß ihm befohlen wurde, als Buße für einen tödlichen Irrtum auf Pilgerfahrt zu gehen?«
»Nein, nein, befohlen wurde es ihm nicht«, sagte Serlo schwächlich. »Er wurde nur darauf hingewiesen, daß seine Seele von einer solchen Buße profitieren würde.«
»Buße für welches schwere Vergehen?« hakte der Chorherr erbarmungslos nach.
»Oh, keines, keines, das irgend jemandem geschadet hätte, kein Akt der Gewalt oder der Unehrlichkeit. Es ist lange her«, sagte Serlo mutig und versuchte mit ungewohnter Tapferkeit den Stein aufzuhalten, den er ins Rollen gebracht hatte. »Es war vor neun Jahren, als Erzbischof William von Corbeil gesegneten Angedenkens eine Predigtmission in viele Städte Englands aussandte. Als päpstlichem Legaten lag ihm das Wohlergehen der Kirche am Herzen, und er entschied sich dafür, Prediger aus seinem eigenen Haus von Saint Osyth auszusenden. Ich wurde damit beauftragt, den ehrwürdigen Vater zu begleiten, der in unsere Diözese kam, und war bei ihm, als er hier am Hochkreuz predigte. William von Lythwood hatte uns danach zum Essen eingeladen, und es gab viele ernsthafte Gespräche. Er war nicht aufsässig, er erkundigte sich lediglich und stellte Fragen, und zwar allen Ernstes. Ein höflicher, gastfreundlicher Mann. Aber selbst im Denken – mangels richtiger Unterweisung …«
»Was Ihr damit sagen wollt«, erklärte Gerbert drohend, »ist, daß ein Mann, dem ketzerische Ansichten vorgeworfen wurden, jetzt verlangt, innerhalb dieser Mauern begraben zu werden.«
»Oh, als ketzerisch würde ich sie nicht bezeichnen«, beeilte sich Serlo zu sagen. »Vielleicht irregeleitete Ansichten, aber ketzerisch sicher nicht. Beim Bischof wurde nie eine Beschwerde gegen ihn vorgebracht. Und Ihr habt gehört, daß er getan hat, was ihm geraten wurde. Zwei Jahre später ist er zu seiner Pilgerfahrt aufgebrochen.«
»Viele Männer unternehmen Pilgerfahrten zu ihrem eigenen Vergnügen«, sagte Gerbert ingrimmig, »und nicht zu ihrem eigentlichen Zweck. Manche tun es sogar der Geschäfte wegen, zum Beispiel Hausierer. Die Tat an sich wiegt keine Irrtümer auf; es ist die ehrliche Absicht, die erlöst.«
»Wir haben keinen Grund zu der Annahme«, erklärte Abt Radulfus trocken, »daß Williams Absichten nicht ehrlich waren.
Das sind Urteile, die wir nicht zu treffen vermögen, und wir sollten die Demut besitzen, das zuzugeben.«
»Dennoch haben wir Gott gegenüber eine Pflicht zu erfüllen, der wir uns nicht entziehen können. Welche Beweise haben wir dafür, daß dieser Mann je die
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