Der Kinderdieb
rief ihm der Junge nach. »Wenn du Marko triffst, dann grüß ihn von seinem Kumpel Jake.«
Klar doch
, dachte Nick.
Wenn er mir die Zunge mit einem heißen Draht versengt, werde ich ganz sicher daran denken, ihn von seinem Kumpel Jake zu grüßen.
Jakes Telefon erwachte zum Leben. Nick wusste, dass Bennie dran war, noch bevor Jake ranging. Er beschleunigte seinen Schritt.
Der Junge kramte sein Telefon hervor und klappte es auf. »Yo. Wie? Mann, du meinst im Park. Wie jetzt …
niemals
. Das hat er gemacht? Mann ey, das gibt’s doch nicht.«
Nick bemerkte, wie der Junge einen kurzen Blick in seineRichtung warf. »Nicht nur das«, sagte er. »Nein, Mann, ich will damit sagen, dass ich genau das habe, was du suchst.«
Nicks Herz hämmerte ihm in der Brust.
»Ja, genau das. In Ordnung, super. Bei der Schildkröte. Du weißt schon, das grüne Kletterding auf dem Spielplatz.« Er blickte erneut zu Nick hinüber. »Keine Sorge, er hat nichts …«
Nick rannte los. Wenn er es zwischen die Bäume schaffte, dann konnte er Jake vielleicht im Unterholz abhängen, dann hatte er vielleicht eine Chance. Er konzentrierte sich so sehr aufs Rennen, dass er nicht mal hörte, wie das Fahrrad ihn einholte. Der ältere Junge trat nach Nick, der sofort den Halt verlor und über den Fußweg schlitterte, wobei er sich auf dem Beton die Handflächen aufschürfte. Nick schrie und versuchte aufzustehen, doch Jake war sofort zur Stelle, um ihn mit einem weiteren Tritt zu Boden zu schicken.
»Du willst doch nicht ohne deinen großen
Bruder
gehen, oder?«, fragte Jake und trat erneut zu.
Nick hörte das Klatschen von Turnschuhen auf dem Weg. Zwei Jungen näherten sich im Laufschritt.
»Yo! Yo! Jake!«, rief einer von den beiden. Es war Bennie.
»Mann, haste den Tritt gesehen?«, brüllte Jake aufgedreht. »Haste den gesehen? Verdammt, ich bin Steven Seagal!« Er griff sich mit einer Hand in den Schritt und schnippte mit den Fingern der anderen, während er sich gleichzeitig auf die Unterlippe biss und mit dem Kopf wippte. »Leg dich nicht mit
Jake-the-Snake
an. Wie findste das, Bennie?« Jake streckte die flache Hand aus. »Gib mir fünf, Kumpel.«
Bennie bedachte Jake mit einem fast mitleidigen Blick, beachtete die Hand nicht weiter und wandte sich sofort Nick zu. Sein kalter Gesichtsausdruck vermittelte deutlich, dass der Spaß jetzt vorbei war. Bennie würde sich nicht so bescheuert anstellen wie der zurückgebliebene Idiot, der neben ihm stand.
Bennie war massig. Nach allem, was Nick gehört hatte, warer Verteidiger in der Footballmannschaft der Lincoln High gewesen, bevor man ihn wegen eines Angriffs auf seinen Mathelehrer der Schule verwiesen hatte. Angeblich hatte er dem Mann ein Auge mit einem Bleistift ausgestochen. Bennie hatte wulstige, harte Hände, die aussahen wie Baumwurzeln, Hände, mit denen man Vierteldollarstücke zerbrechen kann, und dazu lange, buschige Brauen über kleinen, zusammengekniffenen Augen. Der Blick aus diesen Augen war kalt – nicht bösartig, einfach nur kalt. Als ob er überhaupt nichts empfand.
Bennie starrte Nick an und durchbohrte ihn mit seinem kalten Blick. Schließlich sagte er: »Oh Mann, wenn ich mir jemanden aussuchen dürfte, in dessen Haut ich auf keinen Fall stecken möchte, wärst du das.«
»So was von!«, fügte Jake hinzu und wandte sich dann dem dritten Jungen zu, einem kleinen, muskulösen Kerl mit kurzen Armen und Hängeschultern. »Yo, Freddie. Sieh dir mal seine Schuhe an. In solchen Schwuchtelschuhen würdest du mich nicht tot erwischen.«
»Schwule Schuhe«, urteilte Freddie in so breitem Brooklyn-Akzent, dass es klang, als wäre seine Zunge geschwollen. Er trat gegen Nicks Schuhsohlen.
Es ging um Nicks koboldgrüne
Converse
-Imitate. Nick konnte den Jungs nicht mal einen Vorwurf machen – niemand hasste diese Dinger mehr als er selbst. Solche Schuhe gab es in diesen großen Tonnen im 99-Cent-Laden, direkt unter der Vitrine mit den Ein-Dollar-Uhren. Kurz nach dem Umzug war er aus seinen grünen
Vans
rausgewachsen – den besten Skateboardschuhen, die er jemals besessen hatte. Er hatte seine Mutter um ein neues Paar gebeten, und sie war mit diesen Wunderwerken nach Hause gekommen. Als Nick sie fragte, wie er in den Dingern skaten sollte, ob sie erwartete, dass er damit zur Schule ging, und ob sie der größte Geizhals von ganz New York wäre, bezeichnete sie ihn als verwöhnten Rotzlöffel und verließ denRaum. Natürlich war sein Skateboard ohnehin kurz nach Markos
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