Der Kirschbluetenmord
Genugtuung, die Bestrafung Magistrat Ogyūs miterlebt zu haben.
Als wieder Stille ins Zimmer eingekehrt war, sagte einer der Ältesten: »Und was wünscht Ihr, das wir in dieser bedauerlichen Angelegenheit nun weiter unternehmen?«
Bevor der Shōgun etwas erwidern konnte, meldete Kammerherr Yanagisawa sich zu Wort. »Eines ist sicher«, sagte er. »Es dürfen nur so wenige Leute wie möglich davon erfahren, daß Ihr, Hoheit, letzte Nacht beinahe ermordet worden wärt. Ebensowenig darf bekannt werden, daß es bei unseren Sicherheitsvorkehrungen Fehler gegeben hat. Wenn Ihr erlaubt, werde ich Euch sagen, weshalb dies so ist und auf welche Weise wir tun können, was nunmehr getan werden muß.«
Die Ältesten und Tokugawa Tsunayoshi hörten dem Kammerherrn respektvoll zu. Sano erkannte, daß der gutaussehende Yanagisawa einen Großteil der Amtsgewalt des Shōgun ausübte – genauso, wie die anderen yoriki es damals, vor langer Zeit, beim Frühstück in den Kasernen angedeutet hatten.
»Wir können es uns nicht leisten, daß die Daimyō auf den Gedanken kommen, der Shōgun wäre leicht anzugreifen«, erklärte Yanagisawa. »In diesem Fall würde die Tokugawa-Familie nicht nur das Gesicht verlieren – dies könnte eine Rebellion von gefährlichem Ausmaß zur Folge haben.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich.
»Deshalb schlage ich vor, daß wir folgende Geschichte ausstreuen lassen, die zudem in die offiziellen Akten aufgenommen wird: In der vergangenen Nacht ist es in Yoshiwara zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Verbrecherbanden gekommen. Im Verlauf dieser blutigen Massenschlägerei sind viele unschuldige Zuschauer ums Leben gekommen, die den Polizeikräften zu Hilfe geeilt sind, darunter der junge Fürst Niu sowie zwanzig seiner Freunde. Jene Verbrecher, die nicht auf der Stelle ihr Leben ließen, wurden von der Polizei verhaftet und werden zu einem späteren Zeitpunkt hingerichtet.«
Schweigen breitete sich im Zimmer aus, als die Anwesenden diese Geschichte überdachten. Schließlich nickte der Shōgun, und die Ältesten tauschten zustimmende Blicke. Auch Sano mußte die Vorteile dieser vom Kammerherrn erdachten Geschichte eingestehen, wenngleich ihm eine derartige Verzerrung der Wahrheit zutiefst mißfiel.
Dann sagte der Sprecher der Ältesten zögernd: »Ja, so wird es gehen. Von den hier Versammelten abgesehen, wissen nur sehr wenige Leute, daß seine Hoheit in der vergangenen Nacht in Yoshiwara gewesen ist – nur wir selbst, seine Leibwächter, seine Familie und seine engsten Bediensteten. Der junge Fürst Niu und sämtliche Mitglieder der ›Verschwörung der Einundzwanzig‹ sind tot. Meine Schreiber haben dem yashiki der Nius bereits einen Besuch abgestattet und offiziell bestätigt, daß Fürstin Niu und ihr Diener Eii -chan ebenfalls tot sind. Wir könnten gewisse … Methoden« – sein Tonfall besagte: Drohungen und Bestechungen – »anwenden, um dafür zu sorgen, daß die überlebenden Zeugen keine anderslautenden Gerüchte verbreiten. Und keiner der Verbündeten der Nius oder anderer Daimyō-Sippen wird zugeben, daß eines seiner Familienmitglieder in eine wie auch immer geartete Verschwörung verwickelt gewesen ist. Allerdings müssen wir die gesetzlichen Vorschriften berücksichtigen, daß auch die Familienangehörigen von Verrätern mit dem Tode bestraft werden. Sollten wir uns nicht daran halten?«
Sano schauderte vor Entsetzen, als er sich vorstellte, daß Midori und ihre Schwestern, Fürst Niu Masamune und seine Söhne und Enkel sowie die Familien der anderen Verschwörer – Hunderte unschuldiger Menschen – zum Hinrichtungsplatz geführt wurden, um mit ihrem Leben für ein Verbrechen zu bezahlen, das sie nicht begangen, ja, von dem sie nicht einmal gewußt hatten. Erleichterung durchflutete ihn, als der Kammerherr sich zu Wort meldete.
»Wie Ihr bereits erwähnt habt, sind alle Schuldigen tot«, sagte Yanagisawa zum Sprecher der Ältesten. »Weitere Bestrafungen …« Er breitete die Hände in einer beredsamen Geste aus, deren Bedeutung offensichtlich war: Weitere Bestrafungen würden zwar dem Gesetz entsprechen, nicht aber dem Wunsch der Regierung nach Geheimhaltung und der Notwendigkeit, im Land die Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten.
Die Kräuterpackungen hatten Sanos Schmerz in der Schulter betäubt, und der mit Drogen versetzte Tee machte ihn schläfrig. Die Lider fielen ihm zu, als der Shōgun und die Ältesten übereinkamen, den ›Yoshiwara-Plan‹ des
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