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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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folgen, wobei er ihm wieder und wieder die Spitze der jitte gegen den Oberkörper stieß. Doch Sano mußte seine Risikobereitschaft mit weiteren Schnittwunden bezahlen, als Fürst Nius Schwert ihm die Unterarme und eine Wange aufschlitzte. Doch dieser zusätzliche Schmerz wurde zu einer weiteren Quelle der Kraft und des Wissens für Sano.
    Und dann, plötzlich, erkannte er die essentielle Wahrheit über seinen Widersacher: Fürst Niu wollte töten, aber er wollte auch sterben, und die Intensität dieser beiden Wünsche hielt sich die Waage. Das war der wirkliche Grund für Niu Masahitos Wunsch, den Shōgun zu töten; deshalb hatte der Fürst den Anschlag an einem Ort wie diesem verübt, an dem die Chance auf ein Entkommen sehr gering war.
    Nach einem Rückhandschlag Sanos, der das gesunde Bein des Gegners traf, fiel Fürst Niu auf die Knie. Sano spürte, wie das Gleichgewicht zwischen Tötungs- und dem Todeswunsch des jungen Mannes für einen Augenblick ins Wanken geriet. Fürst Nius Antlitz verzerrte sich angesichts schrecklicher Todesqualen mehr als je zuvor. Zum erstenmal schien er zu zögern, bevor er sich erhob – gerade lange genug, daß Sano die jitte in die linke Hand wechseln, sich rasch niederkauern, endlich mit schnellem Griff sein Langschwert in die Rechte nehmen und sich wieder erheben konnte. Ein schwindelerregendes Hochgefühl erfaßte ihn. Der Sieg war zum Greifen nahe.
    Wieder schlug Fürst Niu mit dem Schwert zu, und wieder parierte Sano mit der jitte und klemmte die Klinge zwischen den Dornen fest. Dann drehte er die jitte mit einem kräftigen Ruck. Die Schwertklinge brach dicht über dem Griff ab und flog wirbelnd davon. Fürst Niu erstarrte. Zuerst blickte er auf sein abgebrochenes Schwert, dann auf Sano. Ihre Blicke trafen sich; der Augenblick, den sie sich anschauten, schien eine Ewigkeit zu dauern. Sano sah Haß, Wut und Angst auf Fürst Nius Gesicht. Dann Resignation.
    Sano warf die jitte zur Seite und packte das Schwert mit beiden Händen. Er schwang es herum und in die Höhe. Seine verletzte Schulter schrie auf vor Schmerz. Dann schrie auch Sano – triumphierend und sieghaft. Mit aller Kraft ließ er das Schwert auf Fürst Nius Kopf herniedersausen. Der Stahl drang durch Fleisch und Knochen und spaltete den Schädel Niu Masahitos vom Scheitel bis zur Nasenwurzel.
    Für einen Augenblick stand Sano bewegungslos da, die Hände noch immer um den Schwertgriff geklammert. Der Energiefluß, der ihm Kraft verliehen hatte, verebbte schlagartig. Wie ein mit Asche belegtes Feuer loderte es in den Tiefen seines Innern noch einmal auf; dann erlosch es abrupt. Die geschärfte Wahrnehmungsfähigkeit und Klarsicht ließen nach. Seine Umgebung verlor ihre Farben und ihr Leben. Schon Augenblicke nachdem die Euphorie von Sano abgefallen war, konnte er sich kaum mehr daran erinnern, wie er sich in diesem Zustand gefühlt hatte. Sein Inneres war taub und leer.
    Dann stürmten die Welt und ihre Kümmernisse wieder auf ihn ein und füllten die Leere. Sano starrte auf seinen toten Feind. Fürst Niu lag auf dem Rücken, die Beine angewinkelt. Noch immer hielt er den Schwertgriff umklammert. Blut und Hirnmasse quollen neben der Klinge hervor, die tief in seinem Schädel steckte, und bildeten eine Pfütze unter seinem Kopf. Mit dem Tod war das boshafte Lodern in seinen Augen erloschen. Der allerletzte Ausdruck auf seinem Gesicht war seltsam unschuldig und friedlich.
    Sano ließ das Schwert fallen. Er taumelte zurück. Plötzlich spürte er die pochenden Schmerzen in der Schulter und wurde von einer lähmenden Schwäche befallen. Er sank auf die Knie. Er zwang sich, den Blick von Fürst Niu zu wenden und sich umzuschauen.
    Überall auf dem blutüberströmten Boden lagen Leichen. Es waren sämtliche Mitglieder der »Verschwörung der Einundzwanzig«, wie es schien, sowie alle Leibwächter und Polizisten. Eine erstaunliche Zahl von Samurai, die sich in den Kampf gestürzt hatten, darunter die bewaffneten Torwächter. Setsubun -Feiernde, die bei der panischen Massenflucht zu Tode getrampelt worden waren. Sanos Pferd sowie ein weiteres, das den Tokugawa-Männern gehört hatte. Doch der Shōgun und die beiden überlebenden Leibwächter standen nicht weit entfernt und beobachteten Sano. Von aufgeregtem Murmeln der Zuschauer abgesehen, die das Geschehen aus den Fenstern verfolgt hatten, war es still auf der Straße.
    Sano konnte den Anblick des Blutbads nicht mehr ertragen und schloß die Augen. Es ist vorüber, dachte er,

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