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Der Klang des Verderbens

Der Klang des Verderbens

Titel: Der Klang des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leslie Parrish
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konzentrieren konnte – aufblitzendes Interesse, ein sich verhärtender Mund, ein schwaches Stirnrunzeln, ein höhnisches Grinsen, ein feuchter Schimmer in den Augen. All das konnte in einem Wimpernschlag und dem Hin und Her alltäglicher Begegnungen leicht übersehen werden. Und alles war festgehalten, sodass sie es später in ihrem eigenen Tempo betrachten konnte.
    Manchmal sah sie dann zu viel:
    Den Frust und die Erschöpfung ihrer Kollegen, die von neuen Regeln und Vorschriften so belastet wurden, dass sich ihnen der Eindruck aufdrängte, sie würden in einer längst verlorenen Schlacht kämpfen.
    Die Qual und den Kummer hinter dem gezwungenen Lächeln ihrer Mutter, die der Verlust ihres Mannes und beider Söhne immer noch so schmerzte.
    Die unverhohlenen Emotionen im Gesicht eines Mannes – seine Gefühle für sie –, die ihr vorher nie aufgefallen waren und die sie auch nicht erwidern konnte – jedenfalls nicht so, wie er sich das wünschte.
Daniels
.
    Die nackte Begierde im Gesicht eines anderen Mannes, die ihr verriet, dass er sie wollte, egal wie oft sie ihn zurückwies und auf die Probe stellte. Und das unwillkürliche Echo ihrer Empfindungen, das er immer in ihr bewirkte.
Sykes
.
    Um ihrer eigenen geistigen Gesundheit willen hatte sie irgendwann aufgehört, sich ihre Back-ups anzuschauen. Das hieß nicht, dass sie nicht mehr an sie dachte. Oder an die Bilder, die sie sich im Sommer hatte ansehen müssen. Ronnie war gezwungen gewesen, Morde aus nächster Nähe zu erleben und aus der Opferperspektive zu sehen. Sie hatte gesehen, wie die glänzende Messerklinge auf sie herabgesaust war, hatte gesehen, wie das scharlachrote Blut aus jeder ihrer offenen Wunden hervorgeschossen war, hatte bemerkt, wie das Bild verschwamm, als Tränen in die Augen der Opfer traten. Sie hatte die geheimnisvolle, schwarz umhüllte Gestalt gesehen, die immer trügerisch undeutlich geblieben war und irgendwie gewusst hatte, dass ihre Opfer in jeder Sekunde, die sie die Augen offen hielten, ihr Abbild einfingen.
    »Aber das hier …«, flüsterte sie und beugte sich vor, bis nur noch wenige Zentimeter ihre Nase vom Bildschirm trennten. Diese schlichte, karge Wand, die ihr anonymer Freund so unendlich lange so intensiv anstarrte. »Das ist anders.« Sie brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was es war, dann flüsterte sie: »Irgendetwas fehlt.«
    Die Folge von Zahlen und Buchstaben, die normalerweise in der unteren rechten Ecke jedes Bildes auftauchte, war nicht da. Normalerweise identifizierte sie den Probanden und gab das Datum, den Zeitpunkt und die GPS -Koordinaten an, wo das Bild aufgenommen worden war.
    Jemand hatte mit den OEP -Daten herumgepfuscht – entweder der Teilnehmer, der diese Bilder gesehen hatte, oder jemand, der sich Zugang dazu verschafft hatte. Die Angelegenheit wurde immer interessanter. Vor allem weil ihnen während des Trainings beigebracht worden war, dass die Datenverschlüsselung nicht zu knacken war und nur ein Experte die Bilder, die mit der Kamera erstellt worden waren, manipulieren könnte.
    Bei genauerer Betrachtung bemerkte sie noch etwas: einen schwarzen Rand, der die obere Bildkante gleichsam einrahmte. Und irgendwie schien er leicht zu flackern. Zu ihrer Überraschung zoomte der Blick plötzlich ins Bild hinein, als würde die Wand näherkommen, auch wenn sie nicht das Gefühl hatte, dass sich die Person bewegte. Er zoomte rasch wieder heraus, sodass sie noch mehr von diesem schwarzen Rahmen erhaschte, der in keinen der Daten, die sie bisher untersucht hatte, aufgetaucht war.
    Das ergab keinen Sinn. Das Gerät konnte nicht auf Veranlassung des Probanden hinein- oder herauszoomen, er hatte überhaupt keine Kontrolle über die automatischen Funktionen der Kamera.
    »Da soll mich doch einer«, stieß sie hervor, als ihr mit einem Mal klar wurde, was passiert war. Angesichts dieser simplen Lösung, die die Experten offensichtlich nicht in Betracht gezogen hatten, musste sie unwillkürlich den Kopf schütteln.
    Das Ganze war die Aufnahme einer Aufnahme. Wer auch immer ihr diese Datei geschickt hatte, hatte irgendeine zweite Kamera verwendet, um die Bilder digital von einem anderen Bildschirm aufzuzeichnen. Und er hatte einfach einen Bildausschnitt gewählt, auf dem die Identifikationsnummer nicht zu sehen war.
    Das war so simpel wie schlau. Und indem er aus dem Bild herauszoomte, hatte er absichtlich jeden Zweifel ausgeräumt. Dr. Tate und seine hyperintelligenten Mitarbeiter in seinem

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