Der Klang des Verderbens
raffiniert verwischt. Er hatte einen ganz einfachen Weg gefunden, die Identifikationszeile zu verbergen. Er hatte alles perfekt geplant und genau vierzehn Tage gewartet, bevor er seine vor Spott triefenden Nachrichten versandt hatte. Ronnie befürchtete, dass er auch die restliche Zeit über schlau genug gewesen war, um seine Spuren zu verbergen.
Aber hin und wieder machte jeder Fehler. Sie mussten nur einen finden, der ihnen die richtige Richtung wies.
Jeremy stand auf und schüttelte den beiden Wissenschaftlern die Hände. Dann wandte er sich Ronnie zu. »Also, dann sehen wir uns morgen kurz vor sechs in Dulles?«
Ob er das nur um ihrer Zuhörer willen sagte oder aber wirklich meinte, dass er die zweite Nacht in Folge in der Stadt sein würde und nicht beabsichtigte, Ronnie zu besuchen, wusste sie nicht. Und ihr gefiel auch nicht, wie sehr diese Frage an ihr nagte.
Sie hatten einiges zu besprechen, das war ihr klar. Vor seiner Abreise im November war es mit ihr nicht einfach gewesen, und auch danach hatte sie nicht gerade durch Gesprächigkeit geglänzt. Er hatte eine Erklärung verdient, auch wenn ihr das nicht sonderlich leichtfallen würde. Wie sollte sie zugeben, dass sie, Veronica Sloan, die ihm in jener langen, finsteren Nacht den Arsch gerettet hatte, zu Tode erschrocken war, weil sie etwas für ihn
empfand?
Das klang so unglaublich … mädchenhaft. Sie war nicht mädchenhaft. Nicht einmal ansatzweise.
»Veronica?«
Sie zuckte zusammen. »Wie bitte?«
»Dulles? Morgen früh? Bist du da?«, fragte er mit leiser, fast neckender Stimme. Als wüsste er, wohin ihre Gedanken gewandert waren – dass sie sich fragte, ob er heute Abend zu ihr käme … und wie sie dann reagieren würde.
»Sollte klappen. Vorausgesetzt, mein Lieutenant kann mich offiziell für eine OEP -Ermittlung freistellen«, sagte sie und hoffte ihn mit einem Schulterzucken zu überzeugen, dass sie in Gedanken noch bei ihrem Fall war.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, und er nickte langsam – nicht überzeugt. Verdammt.
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Liebes«, mischte Tate sich ein. »Ich habe vielleicht nicht dafür sorgen können, dass Sie weiterhin am Ball bleiben, während die Leichen vom Sommer immer kälter wurden, aber jetzt, da wir eine neue haben, wird es damit keine Probleme geben.«
Wahrscheinlich hatte er recht – zumindest vorerst. Aber je näher der 23. Dezember rückte – und mit ihm die umstrittene Demonstration in Washington –, desto wahrscheinlicher wurde es, dass sie zurück auf ihren Posten gerufen wurde, egal wie es um diese Mordermittlung stand. Wer konnte schon sagen, was für einen Wahnwitz diese Kundgebung mit sich brachte? Wenn sie das überstanden, ohne dass jemand verletzt wurde oder starb, wäre niemand erstaunter als Ronnie selbst. Vermutlich war sie noch lange ins neue Jahr hinein mit den Nachwehen beschäftigt.
Was bedeutete, dass ihnen weniger als zwei Wochen zur Verfügung standen, um nicht nur diesen Mord aufzuklären, sondern auch noch die anderen beiden, die sie seit Juli verfolgten.
Als sie und Sykes schließlich mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss fuhren, war es bereits nach fünf Uhr, und die frühe Dämmerung des Winterabends war hereingebrochen. Von der Eingangshalle mit ihren Glaswänden aus konnte sie die Überwachungsstrahler sehen, die das Gelände in Licht tauchten, während die Welt dahinter bereits dunkel und voller Schatten lag. Sie konnte nicht leugnen, dass sie sich, seit sie Tate und Cavanaugh verlassen und ihre Sachen zusammengepackt hatten, nun fragte, was dieser Abend wohl noch bringen würde.
Wollte Jeremy sie wirklich erst morgen früh am Flughafen wiedersehen?
Sie setzte gerade zu dieser Frage an, als eine Stimme ertönte.
»Veronica!«
Sie drehte sich um und entdeckte Philip Tate, Phineas’ Sohn, der, wenn auch lange nicht so genial wie sein Vater, mit viel Köpfchen das Management dieses Forschungsunternehmens leitete. Philip, der Ende dreißig sein mochte, groß und sehr attraktiv war, trat gerade aus dem Fahrstuhl und kam mit langen Schritten auf sie zu.
»Hallo, Philip«, grüßte sie ihn.
»Wolltest du dich wirklich rausschleichen, ohne mir Hallo zu sagen?«
Sie hätte bei ihm hereinschauen sollen. Wenn diese brennende Frage, in welchem Bett Jeremy heute Nacht schlafen würde, nicht ihr Hirn in Beschlag genommen hätte, dann hätte sie das mit Sicherheit auch getan. Philip brachte sie immer irgendwie zum Lächeln, darauf war
Weitere Kostenlose Bücher