Der kleine Erziehungsberater
Ich bin nämlich gar nicht der Max.« Ich: »Wer bist du denn?« Max (schreiend, trotzig): »Das sag’ ich dir nicht!!«
Ja, so wird es eines Tages sein: Die eigenen Kinder werden nichts mehr von einem wissen wollen. Man wird sie nicht mehr kennen, und man wird allein sein. Scheißtraurig das.
Ursuppe aus Legosteinen
E s gibt Dinge, die nur Menschen wissen, die kleine Kinder haben. Nur sie kennen den grellen Schmerz, der den Körper durchzuckt, wenn man mit bloßem Fuß auf eine herumliegende Glasmurmel tritt. Nur sie wissen um die Abgründe der Resignation, welche den befällt, der die unaufgeräumten Zimmer seiner Kinder betritt. Nur sie kennen den gigantischen Aufwand an Debattierkunst, der betrieben werden muss, um ein kleines Kind zu bewegen, wenigstens begehbare Schneisen in seine Welt zu schlagen.
Wenn zum Beispiel Antje und ich den Max in einem rücksichtsvollen, intensiven Gespräch bitten, ein wenig Ordnung in seinem Zimmer zu schaffen, pflegt er wie ein vom Blitz gefälltes Bäumchen umzufallen, die Augen zu verdrehen und laut die Worte »immer!« und »muss! « und »ich!« und »aufräumen!!!« hinauszuweinen. (Dann nagt der Zweifel: Sind wir so grausam zu einem kleinen Menschen? Ist Aufräumen nicht spießig und reaktionär? Welchen Schaden richten wir hier an, nie wieder gutzumachenden Schaden?)
Was die meisten Leute mit kleinen Kindern nicht wissen, das ist: Es ist alles vollkommen sinnlos. Lassen Sie ab vom Aufräumen! Geben Sie auf! Verzagen Sie! Jene Ursuppe aus Legosteinen, Puppenarmen, Bonbontüten, Bekleidungsfetzen, welche Kinderzimmerböden bedeckt, entsteht ohne das Zutun von Menschen. Es handelt sich vielmehr um einen kaum erforschten, vielleicht gar nicht erforschbaren Fortpflanzungsvorgang unbelebter Materie: Siku-Autos treiben es mitÜberraschungs-Eiern, Kaugummipapier kopuliert mit Nimm-Zwei-Bonbons, Batmanfiguren gebären Kinderpoststempel, Ventile von Kinderfahrrädern vereinigen sich mit Schwimmflügeln, aus dem Schoß einer Schildkrötpuppe kriechen Buntstifte, uralte, zerbissene Schnuller paaren sich mit den Resten geplatzter Luftballons. All das zerfällt bei einer Halbwertzeit von einer Stunde pro Teil in immer kleinere Plastikteilchen, die schließlich knöchelhoch im Raum liegen, durch die Zimmertür auf den Flur schwappen, sich über die Treppe ins Wohnzimmer ergießen und eines Tages die ganze Welt bedecken werden, unser aller Körper, auch die schreckensstarren Leiber jener, die von alledem nichts ahnten, die keine Kinder haben und aus unverständlichen Gründen auch keine haben wollen.
Alles vergeblich
W ahrscheinlich ist Erziehung Quatsch. Sie führt zu nichts oder allenfalls zum Gegenteil dessen, was man will. Als unsere Kinder ganz klein waren, hat Antje dem Max Puppen und der Anne Autos zum Spielen gegeben, damit sich die üblichen Rollenklischees bei ihnen gar nicht erst verfestigen. Aber dann haben die beiden einfach getauscht und so den allerersten Erziehungsversuch mitleidslos unterlaufen.
Dass mein Sohn möglicherweise nicht der bescheidene, zurückhaltende Mensch ist, zu dem ich ihn gern erzogen hätte, ist mir neulich aufgefallen, als ich ihn in den Kindergarten brachte. Er gab einer wildfremden Mutter, die gerade ihr Töchterlein aus dem Anorak schälte, einen kräftigen Klaps auf den Hintern und sagte: »Hallo Arschgeige!« (Ich weiß ja nicht mal, woher er das Wort hat!)
Und woher kommt diese Geschäftstüchtigkeit? Einmal hat er, als ich eine Lampe im Wohnzimmer montierte, zwei Achter-Dübel aus dem Werkzeugkasten geklaut und sie zwei Stunden später auf der flachen Hand mit den Worten angeboten: »Wenn ich zu Philipp darf, bekommst du das hier wieder.« Woher der unfehlbare Sinn fürs Materielle, besonders wenn es süß ist? Die Kakaodose hatten wir auf dem Küchenschrank versteckt, knapp unter der Decke, an einer Stelle, die für uns selbst kaum erreichbar war, nicht einmal für die Katze der Nachbarn, die gelegentlich durchs Haus streunt. Was soll ich sagen, der Knabe saß am Nachmittag auf dem Schrank und löffelte Kakaopulver in seinen Mund.
Dann kam dieses Familienfest mit siebzig würdigen, zum erheblichen Teil etwas älteren Gästen, und ich merke plötzlich, dass der Stuhl neben mir leer ist, und denke, wo der Knabe nun schon wieder ist. Da sehe ich, wie er von einem zum anderen geht, mit einer Plastiktüte in der Hand und der immer wiederholten Frage auf den Lippen:
»Gibst du mir ein Geld?«
Ich versank im Erdboden. Als ich wieder
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