Der kleine Erziehungsberater
nicht!«
Dann saßen die Signora Schpaghetti und der dicke Papa Nudel traurig und einsam vor riesigen dampfenden Schüsseln.Der dicke Papa Nudel, der so erzogen war, immer seinen Teller leer zu essen, aß alles alleine auf, und die Signora Schpaghetti, die anders erzogen war, aß gar nichts mehr. Der dicke Papa Nudel wurde davon noch dicker, so dick wie ein Germknödel, und die Signora Schpaghetti magerte ab und wurde so dünn wie Schpaghettini.
Am nächsten Tag kochten sie Nudeln und Schpaghetti. Sie machten eine besonders gute Sauce dazu, und als sie die auf den Tisch stellten, rief Anne: »Ich mag nur Nudeln!« Und Max rief. »Ja, nur Nudeln, nackte Nudeln.« Marie, die noch nicht sprechen konnte, versuchte, die Saucenschüssel umzuschmeißen.
Dann aßen die Kinder nackte Nudeln ohne Sauce, und die Signora Schpaghetti aß vor Kummer wieder nichts, und der dicke Papa Nudel weinte in den großen Nudelhaufen auf seinem Teller und aß so viel, dass er rund wurde wie ein Gummiball. Als er den Rest der guten Sauce in den Keller bringen wollte, um ihn in die Tiefkühltruhe zu tun, da stolperte er und fiel, pompompom, die Treppe herunter. Er zerplatzte auf der untersten Stufe wie eine volle Tüte Reis und verteilte sich im ganzen Keller. Die Signora Schpaghetti riss er mit sich, und sie zerbrach, weil sie so dünn war, in sieben Teile.
Da waren die Kinder ganz allein, und sie kochten sich jeden Tag nackte Nudeln und hätten herrlich und in Freuden leben können, wenn sie nicht an Skorbut gestorben wären.
Limonade literweise
E s war nicht so schlimm, dass Max, den Mund voller Nudeln, ganz doll niesen musste, als wir neulich einmal alle zusammen ins Wirtshaus gingen. Es war auch nicht so schlimm, dass Anne einmal einem Tischnachbarn, der ihr freundlicherweise eine Portion Spaghetti mit Tomatensauce auf den Teller tun wollte, diese auf sein weißes Hemd warf. (Wir mussten dann das Lokal hastig verlassen, weil sie sich schwer die Finger verbrannt hatte und heulte wie eine Feuerwehrsirene.) Es ist auch nicht schlimm, dass die Kinder sich mit Pommes frites bewerfen, Limonade literweise verschütten, das ganze Lokal mit der Frage beschäftigen, wer von ihnen die größere Portion bekommen hat, und ganz dringend aufs Klo müssen, wenn gerade die Eltern etwas zu essen bekommen haben. Geschenkt.
Was wirklich schlimm ist, sind die Blicke der anderen Gäste. Wer mit drei Kindern in einem deutschen Lokal isst, wird ununterbrochen gemustert, ohne Brillen, durch Brillen hindurch, über Brillen hinweg. Die Kiefer mahlen, die Gespräche verstummen, die Gesichter werden starr, alles blickt, blickt, blickt: Was haben denn diese Leute für Kinder? Schmieren alles voll. Sitzen nicht still. Spielen mit dem Besteck. Geh mit drei Kindern in ein deutsches Lokal, und du weißt, warum es in diesem Land so wenig Kindergärten gibt. Man sieht das in den Blicken.
Oder wenn du schon gehen musst, nimm dir einen Kerl wieden kleinen Max mit. Der ist mal zum Nebentisch gegangen, hat sich vor einer Frau aufgebaut, die immerzu zu uns herübergeguckt hatte, und hat gerufen: »Man isst nicht mit vollem Mund!«
Die Kunst der Lyrik
J oseph von Eichendorff dichtete den wunderschönen Vierzeiler:
»Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst Du nur das Zauberwort.«
Die Magie des Wortes – finden wir sie nicht auch in der täglichen Erziehungsarbeit?
Ich erinnere mich an eine Autofahrt ins Grüne, bei der es kurz hinter München von der Rückbank plötzlich tönte:
»Papa, sag mal ›Wolle‹!« »Wolle.« »Deine Eltern sind ’ne Arschkontrolle.« Quietschendes, wieherndes, blökendes Gelächter. Wir fuhren eine gute halbe Stunde. Ich habe in dieser Zeit ungefähr 150 mal »Wolle« sagen müssen, jedes Mal mit demselben Ergebnis, beim 150. Mal noch in derselben Intensität wie beim ersten.
Ja, triffst du nur das Zauberwort … Auf der Rückfahrt hieß es dann: »Papa, sag mal ›Keks‹!« »Keks.« »Bin schon unterwegs.« Brüllende, jubelnde Heiterkeit. Kreischen, Wälzen, fast Ersticken vor Vergnügen. 150mal Keks sagen, und die Welt hebt an zu singen. Der Reim ist seither aus dem Familienleben nicht mehr wegzudenken. Sag mal Banane / Hinter dir steht ’ne nakkte Dame, sag mal Schwein / Du hast nur ein Bein, sag mal Klettergerüst / Du hast ’ne nackte Frau geküsst … Jederzeitkann man so gelangweilte, angeödete, müde, gereizte, quengelige Kinder in lachende, fröhliche
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