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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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zur High School ging.
    Es hatte keinen Sinn, Edie daran zu erinnern, dass Robin selbst auch nicht immer ein guter Schüler gewesen war. »Zu ausgelassen«, antwortete sie dann schnippisch. »Er hätte sich schon noch früh genug beruhigt und zu arbeiten angefangen.« Bis hierher und nicht weiter ließ sie es zu, das eigentliche Problem zur Kenntnis zu nehmen, denn alle Cleves waren sich darüber im Klaren, dass Edie einer, wie ihr Bruder, lebhaften Allison alle schlechten Zeugnisse der Welt nachgesehen hätte.
    Während Edie durch Robins Tod und die Jahre danach ein wenig sauertöpfisch geworden war, war Charlotte in eine Gleichgültigkeit abgedriftet, die jeden Bereich des Lebens stumpf und farblos werden ließ, und wenn sie versuchte, für Allison Partei zu ergreifen, tat sie es auf eine hilflose, halbherzige Weise. In dieser Hinsicht ähnelte sie allmählich ihrem Ehemann Dixon, der seine Familie zwar finanziell anständig versorgte, seinen Töchtern aber nie viel Ermutigung oder Interesse entgegengebracht hatte. Seine Achtlosigkeit richtete sich nicht persönlich gegen diesen oder jenen; er hatte einfach zu vielen Dingen eine Meinung, und seine geringe Meinung von Töchtern brachte er ohne Scheu und in beiläufigem, humorvollem Plauderton zum Ausdruck. (Keine seiner Töchter, wiederholte er gern, werde einen Cent von ihm erben.)
    Dix hatte nie viel Zeit zu Hause verbracht, und jetzt war er
kaum noch da. Er entstammte, Edies Ansicht nach, einer Familie von gesellschaftlichen Emporkömmlingen (sein Vater hatte ein Geschäft für Installationsbedarf gehabt), und als er, von ihrer Familie, ihrem Namen angelockt, Charlotte geheiratet hatte, war es in dem Glauben geschehen, sie habe Geld. Die Ehe war nie glücklich gewesen (lange Abende in der Bank, lange Nächte beim Poker, Jagen und Angeln und Football und Golf – jeder Vorwand war ihm recht, um für ein Wochenende zu verschwinden), aber nach Robins Tod wurde sein Frohsinn noch stärker beeinträchtigt. Er wollte das Trauern hinter sich bringen; er ertrug die stillen Zimmer nicht, die Atmosphäre von Vernachlässigung, Mattigkeit, Trübsal, und er drehte den Fernseher so laut, wie es ging, und er marschierte in einem Zustand andauernder Frustration im Haus umher, klatschte in die Hände, zog Jalousien hoch und sagte Dinge wie: »Reißt euch zusammen!« und »Jetzt mal wieder auf die Beine kommen hier!« und »Wir sind doch ein Team!« Dass niemand seine Bemühungen zu schätzen wusste, erstaunte ihn. Und als es ihm mit all seinen Äußerungen nicht gelang, die Tragödie aus seinem Zuhause zu vertreiben, verlor er schließlich jedes Interesse daran. Rastlos und immer öfter blieb er wochenlang weg und hielt sich in seinem Jagdcamp auf, bis er schließlich spontan einen hoch dotierten Bankjob in einer anderen Stadt annahm. Er stellte es als großes und selbstloses Opfer dar, aber wer Dix kannte, wusste, dass er nicht zum Wohle seiner Familie nach Tennessee zog. Dix wollte ein schillerndes Leben, mit Cadillacs und Pokerpartys und Footballspielen, mit Nightclubs in New Orleans und Urlaub in Florida, er wollte Cocktails und Gelächter, eine Frau, die sich unentwegt die Haare machen ließ und das Haus makellos sauber hielt und die bereit war, jederzeit im Handumdrehen das Tablett mit den Hors d’œuvres hervorzuzaubern.
    Aber Dix’ Familie war weder schwungvoll noch schillernd. Seine Frau und seine Töchter waren eigenbrötlerisch, exzentrisch, melancholisch. Schlimmer noch: Wegen des Vorfalls betrachteten die Leute sie alle, sogar Dix selbst, als irgendwie befleckt. Freunde gingen ihnen aus dem Weg, Ehepaare luden sie
nicht mehr ein, Bekannte riefen nicht mehr an. Daran war nichts zu ändern. Die Menschen ließen sich nicht gern an Tod oder Unheil erinnern. Und aus all diesen Gründen fühlte Dix sich genötigt, seine Familie gegen ein holzgetäfeltes Büro und ein flottes Gesellschaftsleben in Nashville einzutauschen, ohne sich im Geringsten schuldig zu fühlen.

    So sehr Edie sich über Allison ärgerte, so sehr beteten die Tanten sie an, und für sie waren viele der Eigenschaften, die Edie so frustrierend fand, heiter, ja sogar poetisch. Ihrer Meinung nach war Allison nicht nur die Hübsche, sondern auch die Sanfte: geduldig, niemals klagend, behutsam im Umgang mit Tieren und alten Leuten und Kindern – lauter Tugenden, soweit es die Tanten betraf, die alles an guten Zensuren oder klugen Reden weit in den Schatten stellten.
    Die Tanten verteidigten sie loyal.

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