Der kleine Mann
stehen, verneigte sich und sagte lächelnd: „Heute wird nicht gezaubert, meine Herrschaften. Heute wird nur gestohlen. Halten Sie Ihre Taschen zu! Vor mir und meinem jugendlichen Mitarbeiter ist nichts und niemand sicher.“
„Wo bleibt er denn, Ihr Mitarbeiter?“ rief ein dicker Mann in der zweiten Reihe.
„Er ist schon hier“, erwiderte der Professor.
„Ich sehe ihn aber nicht“, rief der Dicke.
„Kommen Sie doch, bitte, etwas näher!“ sagte der Jokus freundlich. „Vielleicht sehen Sie ihn dann!“
Der dicke Mann erhob sich ächzend, kam in die Manege gestapft, gab dem Professor die Hand und sagte: „Mein Name ist Mager.“
Das freute das Publikum.
Der dicke Herr Mager schaute sich gründlich um. „Ich sehe ihn noch immer nicht!“
Der Professor trat dicht an den Dicken heran, blickte ihm gründlich in die Pupillen, klopfte ihm auf die Schulter und meinte: „An Ihren Augen kann’s nicht liegen, Herr Mager. Die sind in Ordnung. Trotzdem ist mein Gehilfe hier. Ich gebe Ihnen mein großes Ehrenwort.“
Ein Herr in der ersten Reihe rief: „Ist ja völlig ausgeschlossen! Wette mit Ihnen um zwanzig Mark, daß Sie allein sind!“
„Nur zwanzig Mark?“
„Fünfzig Mark!“
„Einverstanden“, sagte der Jokus vergnügt. „Treten auch Sie ruhig näher! Hier ist noch eine Menge Platz. Und vergessen Sie nicht, das Geld mitzubringen!“ Er hakte sich bei Herrn Mager unter und wartete lächelnd auf den Herrn aus der ersten Reihe, der fünfzig Mark gewettet hatte. Auch Herr Mager lächelte, obwohl er gar nicht wußte, warum.
Der Herr marschierte auf sie zu und stellte sich vor.
„Doktor Hornbostel“, schnarrte er zackig. „Das Geld habe ich bei mir.“ Sie schüttelten einander die Hände.
„Nun, wie steht’s?“ fragte der Professor. „Wo steckt mein Gehilfe?“
„Ist ja Unsinn“, erklärte Doktor Hornbostel. „Gibt’s gar nicht, den Kerl. Bin schließlich nicht blind. Hätte Lust, die Wette zu verdoppeln. Hundert Mark?“
Der Professor nickte. „Hundert Mark. Ganz wie Sie wünschen.“ Er klopfte ihm auf die Brust. „Die Brieftasche ist ja dick genug. Ich spüre sie durchs Jackett hindurch.“ Dann prüfte er den Stoff zwischen den Fingern, öffnete Doktor Hornbostels mittleren Jackettknopf und sagte: „Prima Kammgarn, kein Gramm Zellwolle, keine Knitterfalten, erstklassiger Sitz, teurer Schneider.“
„Stimmt“, bemerkte der Doktor stolz und drehte sich um die eigne Achse.
„Fabelhaft!“ meinte der Jokus. „Moment, bitte! Hier hängt ein weißes Fädchen.“ Er zupfte den Faden fort und strich das Jackett sorgfältig glatt.
Da hüstelte der dicke Herr Mager und sagte ein bißchen ungehalten: „Das ist ja alles schön und gut, Professor. Prima Kammgarn, teurer Schneider und so. Aber wann wird nun eigentlich gestohlen?“
„In zwei Minuten fangen wir an, verehrter Herr Mager. Keine Sekunde später. Schauen Sie bitte zur Kontrolle auf Ihre Armbanduhr!“
Der dicke Herr Mager blickte auf die Uhr und machte ein verblüfftes Gesicht. „Sie ist weg“, erklärte er.
Der Jokus half ihm beim Suchen. Aber die Uhr fand sich in keiner Tasche und nicht am andren Handgelenk. Sie lag auch nicht am Boden. „Das ist ja sehr, sehr merkwürdig“, meinte der Zauberkünstler gedehnt. „Wir zwei wollten Sie zwei erst in zwei Minuten ausrauben, und schon ist eine Uhr verschwunden!“
Jetzt faßte er den andren Herrn ins Auge: „Herr Doktor Hornbostel“, sagte er mißtrauisch, „ich möchte Sie nicht verdächtigen, das ist ja selbstverständlich, aber — haben vielleicht Sie, aus Versehen, Herrn Magers Armbanduhr an sich genommen?“
„Dummes Zeug!“ rief Doktor Hornbostel empört. „Stehle weder aus Versehen, noch zum Spaß! Angesehener Rechtsanwalt wie ich kann sich das gar nicht leisten!“ Die Zuschauer lachten herzlich.
Der Jokus blieb ernst. „Darf ich einmal nachsehen?“ fragte er höflich. „Es ist eine reine Formsache.“
„Meinetwegen!“ schnarrte Rechtsanwalt Doktor Hornbostel und streckte beide Arme in die Luft. Er sah aus wie bei einem Gangsterüberfall.
Der Jokus durchsuchte geschwind sämtliche Taschen. Plötzlich stutzte er. Dann zog er etwas heraus und hielt es hoch: eine Armbanduhr!
„Das ist sie!“ rief der dicke Herr Mager, sprang danach wie ein Mops nach der Wurst, band sie sich wieder ums Gelenk und sagte, mit einem schiefen Blick, zu Hornbostel: „Na, hören Sie mal, Doktor! Das ist ja allerhand!“
„Schwöre Ihnen, daß ich’s nicht
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