Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Mann

Der kleine Mann

Titel: Der kleine Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
die Million hätte!“
    Bevor er in der Beschreibung seiner schwarzen Seele fortfahren konnte, wurde er von dem kleinen fixen Mädchen unterbrochen, das wir schon kennen. „Guck mal, Mutti“, rief das Kind zapplig, „der andre Mann hat plötzlich keinen Schlips um!“
    Zweitausend Menschen starrten Herrn Rechtsanwalt Doktor Hornbostel an, der mit der Hand ruckartig an seinen Hemdkragen griff. Tatsächlich, die schöne Krawatte aus Foulardseide war verschwunden! Und weil der ganze Zirkus lachte, wurde Hornbostel unwirsch. „Genug gescherzt!“ sagte er düster. „Ersuche dringend um Rückgabe meiner Krawatte!“
    „Sie steckt in Ihrer linken Brusttasche, sehr geehrter Herr Doktor“, meinte der Jokus. Dann gab er beiden die Hand und bedankte sich herzlich für ihre Mitwirkung.
    „Gern geschehen“, antwortete der dicke Herr Mager. „Aber lassen Sie meine Hand los, ja? Sonst klauen Sie mir die auch noch!“ Er stapfte seinem Platz zu und machte behutsame Schritte, damit er die Schuhe nicht verlöre. Auf halbem Wege blieb er unvermittelt stehen und sagte: „Wieso rutschen eigentlich meine Hosen?“ Er schlug das Jackett zurück und rief entsetzt: „Meine Hosenträger! Wo sind meine Hosenträger?“

    „Nanu!“ sagte der Jokus. „Sollte ich versehentlich...?“ Er befühlte seine Taschen und stutzte. „Hier scheint etwas...Einen Moment, lieber Herr Mager, ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß ich... Andrerseits... bei meiner Zerstreutheit…“ Und schon hielt er ein Paar Hosenträger hoch. „Da sind sie ja!“
    Das Publikum bog sich. Und als der Doktor Hornbostel, der sich seine Seidenkrawatte umband, nervös das Jackett aufschlug und seine Hosenträger suchte, lachten die Leute noch viel mehr. Aber er hatte sie noch, atmete auf und wischte sich die Stirn. Er schwitzte vor Angst. Dann hob er den Schuh auf, aus dem er herausgekippt war, und humpelte zu seinem Platz in der ersten Reihe.
    Die Kapelle spielte einen Tusch. Die Trompeter bliesen vor Lachen falsch. Der dicke Herr Mager nahm seine Hosenträger in Empfang. Und der Professor Jokus von Pokus verneigte sich elegant. „Der Kleine Mann und meine eigne Wenigkeit“, sagte er lächelnd, „bedanken sich beim Publikum für die geradezu vorbildliche Aufmerksamkeit.“ Da klatschten alle und schrien „Bravo!“ und „Wundervoll!“ und „Großartig!“
    Doktor Hornbostel aber sprang, kaum daß er saß, wieder in die Höhe, gestikulierte wild und rief: „Was wird aus der Wette? Sie schulden mir hundert Mark!“
    Der Professor gab dem Herrn Direktor Brausewetter, der strahlend am Manegenrande stand, ein Zeichen. Der Direktor gab das Zeichen weiter. Und langsam stieg das Rundgitter aus der Versenkung empor, das sonst nur während der Raubtierdressuren die Manege vom Publikum trennte.
    „Ich zeige Ihnen jetzt meinen Zauberlehrling, den Kleinen Mann! Sie können sich überzeugen, daß es ihn gibt! Das Gitter soll nur verhüten, daß Sie ihn und mich vor lauter Verwunderung zerquetschen.“
    Dann wandte sich der Professor an Herrn Hornbostel: „Damit haben Sie die Wette verloren! Den Hundertmarkschein brauchen Sie mir nicht zu überreichen. Ich habe ihn mir schon aus Ihrer Brieftasche herausgenommen! Zählen Sie bitte nach!“
    Doktor Hornbostel zählte sein Geld, flüsterte: „Tatsächlich!“ und sank auf seinen Stuhl.
    Der Jokus holte Mäxchen aus der Brusttasche, hielt ihn hoch und rief: „Darf ich Sie mit dem Kleinen Mann bekanntmachen? Hier ist er!“
    Die Zuschauer sprangen auf, polterten die Stufen hinunter, stießen sich, quetschten einander und preßten die Gesichter ans Gitter. „Da ist er ja!“ riefen sie. „Ich seh ihn nicht!“
    „Doch, doch!“
    „Wo denn bloß?“
    „Auf dem Handteller des Professors!“
    „Oje, ist der klein! Wie ein Streichholz!“
    „Man hält’s doch nicht für möglich!“
    Der Kleine Mann lachte und winkte ihnen zu.

10. Kapitel

Die Funkstreife greift ein / Der Kleine Mann wird zum Zaubergesellen befördert / Zum Applaus gehört zweierlei / Galoppinski braucht eine neue Peitsche / Rosa Marzipan fällt dem Professor um den Hals / Mäxchen läßt grüßen.

    Der Erfolg war ungeheuer, und der Zirkus beruhigte sich erst, nachdem mit Sirene und blauem Licht eine Funkstreife gekommen war. Sie hatte dann auch den Professor, den Kleinen Mann, die beiden Tauben und Alba, das Kaninchen, in die Mitte genommen und auf Zickzackwegen ins Hotel gebracht. Autos, die ihnen folgen wollten, wurden abgeschüttelt.
    Wenig

Weitere Kostenlose Bücher