Der kleine Vampir feiert Weihnachten
«Mysteriöser Raub» prangte in dicken schwarzen Lettern auf der Titelseite.
Unter der Schlagzeile war das Foto eines Kaufhauses abgebildet. Nein, nur das Kaufhaus
dach
war zu sehen, wie Anton verwundert feststellte. Ein «mysteriöser Raub» – und dann auf dem Dach? Was gab es dort überhaupt zu rauben?
Er beugte sich über die Zeitung, um den klein gedruckten Bericht zu lesen.
«Lies ruhig laut vor!», forderte ihn seine Mutter auf.
Anton setzte sich. «11. Dezember. Seit Sonntag ermittelt die Kriminalpolizei in einem äußerst mysteriösen Raubfall: Samstagnacht wurden sämtliche zehn Kunststoff-Tannenbäume –» Anton stockte und sah verstohlen zu seiner Mutter hinüber. Sie beobachtete ihn; ungewöhnlich kritisch, wie er fand. «– wurden sämtliche zehn Kunststoff-Tannenbäume vom Dach des Kaufhauses gestohlen», las er weiter vor. «Besonders mysteriös sind die Umstände der Tat: Die zehn Tannenbäume wurden vom Dach des Kaufhausesgestohlen. Und die schwere Eisentür, die zum Dach führt, war verschlossen! Sie wurde auch nicht aufgebrochen, wie uns Heino Klemm (43), der Leiter des Kaufhauses, auf Anfrage versicherte. Wie also kamen die Täter auf das Dach? Waren es Fassadenkletterer? Hatten sie Leitern? Es wurden aber keine Spuren entdeckt, die auf irgendwelche Hilfsmittel wie Leiter oder Seile hindeuten.
Nach Einschätzung von Alfons Kleineisen (44) von der Kriminalpolizei wäre es denkbar, dass die Täter mit einem Hubschrauber gekommen sind. Aber wer benutzt einen Hubschrauber,um zehn Kunststoff-Tannenbäume zu stehlen?
Unklarheit besteht auch über die Motive der Täter. Waren es Fanatiker, die mit dem Diebstahl der Tannenbäume gegen das Weihnachtsfest protestieren wollten?
Dann wäre dieser mysteriöse Tannenbaumraub erst der Anfang, und wir müssten uns noch auf eine ganze Reihe ähnlicher Anschläge gefasst machen … Hoffen wir, dass es nur ein Dummerjungenstreich war!»
Mit diesen Worten schloss der Artikel.
Vampire, die Weihnachten feiern
Anton spürte, dass er rote Ohren bekommen hatte.
«Nun?», fragte seine Mutter. «Hast du mir nichts zu sagen?»
«Was sollte ich denn zu sagen haben?», tat Anton arglos. Er fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen, und nicht die kleinste Ausrede wollte ihm einfallen.
«Und der abscheuliche Kunststoffbaum in
deinem
Zimmer?» Sie blickte ihn durchdringend an. «Das ist doch keine Fata Morgana, oder?»
«Nein», bestätigte Anton.
In Gedanken fügte er hinzu: «Leider!»
«Und es ist richtig, dass dieser Kunststoffbaum erst seit Sonntag bei dir im Zimmer steht?», forschte seine Mutter weiter.
«Ja.»
«Und wie ist er, bitte schön, dorthin gekommen?»
Anton zögerte. Sollte er behaupten, er hätte den Baum draußen «gefunden»? Aber das würde ihm seine Mutter ohnehin nicht glauben, und so antwortete er wahrheitsgemäß: «Lumpi hat ihn mir gebracht.»
Seine Mutter sah ihn verdutzt an. «Lumpi? Wer oder was ist Lumpi?»
«Der große Bruder von Anna und Rüdiger. Ich hab dir schon von ihm erzählt.»
«Und der hat dir den Kunststoffbaum gebracht?» «Ja.»
«Und wann?»
«Wann?», wiederholte Anton, um Zeit zu gewinnen. «Am Samstag. Als ihr im Theater wart.»
«Heißt das, du lädst dir spätabends, wenn wir nicht da sind, Besuch in die Wohnung ein?», rief seine Mutter.
«Nein, heißt es nicht!», erwiderte Anton. «Lumpi ist von sich aus gekommen. – Und den scheußlichen Baum wollte ich überhaupt nicht haben», fügte er hinzu.
«Dann wird es das Beste sein, wenn du Lumpi den Baum zurückgibst», erklärte Antons Mutter. «Ich möchte auf keinen Fall, dass
du
in diese Sache verwickelt wirst! Immerhin ermittelt bereits die Kriminalpolizei!»
«Ich
kann
Lumpi den Baum nicht zurückgeben!»
«Und warum nicht?»
«Weil es ein Geschenk ist! Und weil Lumpi furchtbar wütend wird, wenn man seine Geschenke zurückweist!»
«Hm –» Antons Mutter überlegte. «Vielleicht sollten
wir
mit Lumpi sprechen, Vati und ich. Dann könnten wir ihm auch klarmachen, dass es ein sehr, sehr dummer Streich von ihm war.»
«Das stimmt!», gab Anton ihr Recht.
«Und wann triffst du Lumpi wieder?»
«Wahrscheinlich schon heute.» – Den Zusatz «Abend» verkniff Anton sich lieber.
«Genau weißt du es nicht?»
«Nein. Bei Lumpi weiß man nie etwas genau.»
«Und bei Anna und Rüdiger?», fragte Antons Mutter. «Weißt du da inzwischen Genaueres?»
«Wie – wie meinst du das?»
«Ob sie nun mit uns Weihnachten feiern oder
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