Der Knochendieb
verfolgte: ein vergessener Kanister Terpentin. Der Verschluss hatte sich durch Korrosion festgefressen und widersetzte sich meinen Versuchen, ihn zu öffnen. Irgendwo fand ich ein Bügeleisen, mit dem ich immer wieder aus Leibeskräften auf den Kanister eindrosch, bis mein Hemd mit Terpentin bespritzt war.
Erneut holte ich mit dem Bügeleisen aus und traf die Schneiderpuppe. Büschelweise quoll die Holzwolle aus ihr hervor. Ich verteilte sie über Beckys Knochen.
Dann schraubte ich die Glühbirne heraus und bog die Fassung auf. Meine Bemühungen wurden durch einen schmerzhaften Schlag belohnt. Trotzdem hatte ich den bläulichen Lichtblitz, der aus meinen Fingerspitzen kam, ebenso wahrgenommen wie die orangefarbenen Funken und den Gestank des verschmorten Isolierkabels, der mir in die Nase stach. Ich würde diesen Blitz nutzen und ihn auf Rebecca richten.
Welche Hexerei, welche Magie entfaltete sich vor meinen Augen!
Ich riss das Kabel aus seiner Verankerung und trennte die beiden Drähte. Feierlich schritt ich auf Beckys Knochenreste zu. Ich spürte ihr Verlangen, ihre Sehnsucht nach Wiedergeburt.
Als ich die Drähte aneinanderhielt, erglühten unzählige Lichtspeere rings um mich her und füllten den Keller mit blendender Helligkeit. Genährt vom Terpentin wurden die Flammen rasch höher. Der Lämmergeier krächzte, während das Feuer die im Keller angesammelten Schätze zerstörte. Beckys Knochen gingen in der Umarmung der Flammen in Rauch auf, begleitet vom Knistern des Feuers.
In der Ferne glaubte ich meine Mutter schreien zu hören.
85. KAPITEL
Driscoll kehrte in heller Aufregung aus Vermont zurück. Margaret war verschwunden. In Gedanken spulte er immer wieder die Nachricht ab, die sie ihm auf seiner Mailbox hinterlassen hatte. Sie hatte gesagt, Pierce wisse, dass Sarah Benjamin nicht in das Schema passte. Angesichts der Tatsache, dass er keine Ahnung hatte, wo Margaret steckte, war diese Neuigkeit ebenso aufschlussreich wie beunruhigend. Er hatte ihr drei Nachrichten auf ihre Mailbox gesprochen und zweimal ihren Pager angepiepst, doch sie hatte nicht reagiert. Wo zum Teufel konnte sie sein? Es war absolut untypisch für sie, dass sie Anrufe ignorierte. Während er zusah, wie der schmale
rote Zeiger seiner Bürowanduhr die Sekunden abzählte, wuchs seine Besorgnis immer mehr.
Die Tür ging auf, und Thomlinson kam mit einer Zeitschrift herein. »Old Brookville«, sagte er. »Wussten Sie, für wie viel in dieser Gegend ein durchschnittliches Haus den Besitzer wechselt?«
»Weshalb das plötzliche Interesse an Immobilien?«
»Drei Komma neun Millionen! Das ist der gängige Preis. Lage, Lage, Lage.«
»Wollen Sie die Branche wechseln?«
»Dort hängt Doktor Pierce seinen Hut auf. Er hat sein Haus in dem Viertel.«
»Das weiß ich mittlerweile auch. Allerdings habe ich mich bisher nicht dort umgesehen. Aber noch ist nicht aller Tage Abend.«
»Tolles Haus. Hat’s sogar aufs Cover des Architectural Digest geschafft. Im Juni’98. Hier, sehen Sie mal.«
Thomlinson legte das Heft aufgeschlagen vor Driscoll auf den Schreibtisch. Ein Foto zeigte eine prachtvolle Fassade.
Driscoll las die Bildunterschrift. »An der Ecke Lilac Grove und Primrose Lane liegt das im achtzehnten Jahrhundert erbaute Anwesen von Doktor Colm F. Pierce.«
Der Lieutenant schob das Heft beiseite und sah Thomlinson an. Er wollte gerade zum Sprechen ansetzen, als ihm die elektronische Stimme seines Computers zuvorkam. »Sie haben Post«, tönte es blechern.
Inständig hoffte er auf eine Nachricht von Margaret.
Aber nein. Die Mail stammte von jemandem, der sich »Paradox« nannte. Driscoll musterte Thomlinson, zuckte die Achseln und drückte auf »Öffnen«.
Liebster Lieutenant,
Sie wollen etwas über schlechte Erfahrungen mit Godsend wissen? Tja, Sie können mich übers Knie legen und mir eine ordentliche Tracht Prügel verpassen, falls ich Ihnen nicht die reine Wahrheit sage. Jedenfalls habe ich auf die Anzeige dieses Kerls geantwortet, weil ich meine erste Liebe wiedersehen wollte. Es sah alles ganz vielversprechend aus, bis ich den Knaben getroffen habe. Anscheinend war er nicht besonders angetan davon, dass ich … na, sagen wir mal, nicht ganz seinen Erwartungen entsprochen habe. Ich bin nämlich das, was man gemeinhin einen Transvestiten nennt. Eine schnuckelige Fummeltrine. Jedenfalls hat Ihr Godsend nur einen Blick auf mich geworfen, ehe ihm seine feige weiße Visage zusammengefallen ist und er sich schleunigst aus dem
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