Streitbare Frauen
»Heiß ich doch, weil ich fromm war, Frevlerin!
Ja, wenn es den Göttern wohlgefällt,
Dann seh ich ein: Ich leide, weil ich fehlte.
Doch fehlten diese, treffe sie nichts Ärgeres,
Als was sie wider Recht an mir getan!«
Sophokles, Antigone 2
Zu diesem Buch
Sophokles erzählt in seinem Drama von Antigone, der Tochter des Ödipus, über die sich der Fluch der Götter legt, nachdem ihr Vater seinen eigenen Vater getötet und seine Mutter geheiratet hat. Antigones Brüder Polyneikes und Eteokles erschlagen sich gegenseitig beim Kampf um Theben. Der neue König Kreon versucht die Ordnung wiederherzustellen und verbietet die Bestattung Polyneikes, der als Verräter gilt. Doch Antigone widersetzt sich den Gesetzen des Herrschers. Das Gebot der Götter, die Toten zu bestatten, gilt ihr als höheres Recht und auch die Androhung von Strafe kann sie nicht von ihrem Weg abbringen. Sie handelt gemäß ihrer moralischen Überzeugung und bestattet den Bruder. Damit stellt sie ihr Gewissen über das Gesetz; sie ist bereit, für ihr Streben nach Gerechtigkeit das eigene Leben zu opfern.
Im Mythos der Antigone, der schon Hegel als Symbol für das sittliche Recht galt, drückt sich der Widerstreit von gerechtem Handeln und positivem (vom Menschen gemachtem) Recht aus. Antigone wird gefasst und nach einem Verhör, in dem sie ihre Gründe darlegt, zum Tode verurteilt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie die zukünftige Schwiegertochter Kreons ist. Noch im Kerker geht sie in den Freitod, ihr Verlobter, Kreons Sohn Haimon, und dessen Mutter, Kreons Ehefrau Eurydike, folgen ihr.
Antigone hatte gegen zwei Gesetze verstoßen, die nicht nur in der antiken Welt Gültigkeit hatten, sondern auch lange danachnoch galten: Zum einen missachtete sie ein Gesetz der Regierung und zum anderen hatte sie die ihr zugedachte Rolle als Frau, wonach sie sich dem Mann unterzuordnen und sich von der politischen Bühne fernzuhalten hatte, verlassen. Statt sich den politischen und gesellschaftlichen Geboten zu beugen, kämpfte sie unbeirrbar, mutig und entschlossen für die Umsetzung eines höheren Zieles. Der Einsatz für ein höheres Gut überstrahlte alle menschlichen Beziehungen und stand über ihrem eigenen Wohl und Wehe.
Die in diesem Buch porträtierten Frauen gleichen ihr darin. Auch sie glaubten an ein höheres Ideal, dem sie sich verpflichtet fühlten. Sie waren Überzeugungstäterinnen, die für die Durchsetzung ihrer Ziele gegen sittliche und staatliche Gebote verstießen. Die Umsetzung ethischer Werte hatte bei ihnen stets Vorrang vor der Umsetzung weltlicher Gesetze. Sie fühlten eine tiefe moralische Verantwortung für die Menschen in sich, die sie dazu brachte, sich gesellschaftlichen und politischen Zwängen zu verweigern und Gesetze zu brechen.
Angetrieben von Wut und Empörung angesichts gesellschaftlicher oder politischer Missstände hatte ihr Einsatz jenseits aller politischen Analyse immer auch eine persönlich-moralische Dimension, die bei Frauen ungleich stärker zum Tragen kommt als bei Männern. Ein Umstand, der sicherlich die erstaunliche Radikalität und Konsequenz erklärt, mit der diese Frauen ihre Ziele verfolgten. Couragiert und furchtlos stritten sie für ihre Überzeugungen, allen Widrigkeiten zum Trotz.
Politische Frauen waren zu allen Zeiten ein heikles Thema. Oppositionelle Frauen hatten und haben es weitaus schwerer als diejenigen, die im Gleichschritt mit der Macht marschieren. Trotzdem sind es gerade die Rebellinnen, jene Frauen, die gegen den Strom schwammen, die noch heute faszinieren. Ihr unbedingter Einsatz für unpopuläre Themen wie Frauen- und Menschenrechte, Freiheit und Frieden veränderte die Welt und brachte zahlreiche Neuerungen mit sich, von denen nicht nur Frauen profitieren konnten. Der Einsatz von Frauenrechtlerinnen wie Mathilde Franziska Anneke oder Clara Zetkinverbesserte die rechtliche Situation von Frauen überall auf der Welt. Der Kampf von Harriet Tubman gegen die Sklaverei trug entscheidend zur Ächtung derselben bei.
Dabei galt politisches Engagement lange Zeit als unweiblich und nicht gesellschaftsfähig. Als Bertha von Suttner sich an die Spitze der europäischen Friedensbewegung setzte, wurde sie verlacht und verhöhnt. Dass Frauen in der Öffentlichkeit als Rednerinnen auftraten, wurde als höchst unschicklich und unpassend bewertet. Eine restriktive Gesetzgebung sorgte lange Jahre dafür, dass Frauen ohnehin von jeglicher politischen Betätigung ausgeschlossen
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