Der Knochendieb
verrückt und fielen wieder in sich zusammen. Er zitterte am ganzen Körper. Als er sich die Haare aus der gefurchten Stirn strich, spürte er, dass sie schweißnass war.
»Colm, hast du irgendwelche Schwierigkeiten?«
Sie erhielt keine Antwort.
»Colm?«
»Ja?«
»Du hast also Schwierigkeiten. Erzähl mir davon, Junge.«
Pierce brachte das Zittern nicht unter Kontrolle. Er ballte eine Hand zur Faust und schlug damit auf seinen Schreibtisch.
»Colm?«
»Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte er langsam und kontrolliert. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe keinerlei Schwierigkeiten. Und ich werde dafür sorgen, dass
dieser Polizist eine Verwarnung dafür bekommt, dass er Sie so verschreckt hat.«
»Aber Colm …«
Pierce legte auf. Erneut fiel sein Blick auf die gekritzelte Nachricht. Er knüllte den Zettel zusammen und schleuderte ihn gegen die Wand. Als er sich erhob, wurde ihm schwindlig, und er setzte sich wieder. Mit beiden Fäusten hämmerte er auf seine Schreibtischplatte ein. Der Lärm ließ Alicia Simmons hereinstürzen.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Noch nicht, aber bald«, wimmelte Pierce sie ab, ehe er den Blick wieder auf die Wand heftete. Nach wie vor hämmerte ihm das Herz in der Brust, als er die Stimme seines Vaters vernahm, zunächst nur aus der Ferne, doch dann immer lauter.
»Wo bleiben denn die Augen, Colm?«
Von ganz oben auf dem Kellerregal kam ein Schrei, der mir Angstschauer über den Rücken jagte. Dann hörte man irgendetwas rascheln.
»Bugler, was war das?«, fragte Mutter aufgeregt.
»Daddy, wir haben Ratten!«, wimmerte Becky, während sich ihre braunen Augen mit Tränen füllten.
»Das ist keine Ratte«, sagte Vater grinsend.
Ein zweiter Schrei, noch markerschütternder als der erste, brachte mich völlig aus der Fassung. Die Schachtel fiel mir aus den Händen, worauf die Achataugen in alle Richtungen davonschossen. Die Miene meines Vaters veränderte sich. Seine Kiefermuskulatur wurde starr, und auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte.
»Jetzt schau nur, was du angerichtet hast!«
Er stand auf. Mein Herz raste.
Sein Gesicht sprach von Krieg. Er stieß einen Schrei aus,
unergründlich und archaisch, wie das Geheul eines keltischen Kriegers.
Starr vor Schreck, sahen meine Schwester und ich zu. Ich wusste, dass mein Leben an einem seidenen Faden hing. Er konnte mich mit seinen brutalen Händen erwürgen oder mich verschonen.
Er zertrat die verstreuten Augen unter dem Absatz seines Wanderstiefels und hielt sein verzerrtes Gesicht vor meines. »Ich könnte dich auslöschen, Sohn«, zischte er. »Und weder die Sonne noch den Mond noch die Sterne würde es groß kümmern.«
Vater kratzte sich winzige Glasstückchen vom Absatz und streute mir den glitzernden Staub auf den Kopf, ehe er sich jäh aufbäumte, als sich der Tumor in seine Eingeweide krallte.
»Ich habe dich gezeugt, Sohn, und ich kann dich auch wieder auslöschen«, sagte er und sah mir durchdringend in die Augen, während er meine Pupillen musterte wie ein Augenarzt. Dann wandte er sich wieder seinen Präparaten zu. »Der ausgeweidete Fasan braucht braune Augen«, murmelte er und inspizierte dabei meine Iris. »Du hast die Augen deiner Mutter, Colm, aber Rebecca hat die braunen von mir geerbt.«
Ein gellender Schrei ließ mich aufschrecken. Ein Geier kam von den im Dunklen verborgenen Deckenbalken herabgestoßen und senkte die Krallen auf die Eingeweide des toten Vogels.
»Ist er nicht wunderschön?«, freute sich Vater. »Noch vor einer Woche hat dieses Prachtexemplar die Alpen nach einem abgestürzten Lamm abgesucht, und jetzt gehört das Schätzchen mir. Ein echter, lebender Lämmergeier!« Die höhnische Grimasse kehrte zurück. »Becky,
komm her und gib deinem Vater einen dicken, feuchten Schmatz.«
Ohne Vorwarnung packte mein Vater meine Schwester und drückte ihren Körper auf die Krankenliege, ehe er ein paar Tropfen einer Flüssigkeit auf einen Lappen träufelte und ihr brutal ins Gesicht presste. Becky wimmerte. Doch bald verstummte das Geräusch, als meine Schwester das Bewusstsein verlor. Vater griff nach dem Kugelausstecher und riss ihr damit beide Augen aus.
Ich packte ihn am Ärmel, um ihn von weiteren Attacken auf meine Schwester abzuhalten.
»Lass meinen Arm los«, knurrte er durch zusammengebissene Zähne.
Mit dem Lappen in der Hand, den er zuvor bei Becky benutzt hatte, wandte er sich zu mir um. Schon bald verlor ich das Bewusstsein.
Der kupferartige Geruch von
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