Der Knochenleser - Der Gruender der legendaeren Body Farm erzaehlt
dritte Person war ein wenig rätselhaft.
Es war ein zufälliges, aber schicksalsträchtiges Zusammentreffen, dass einige Monate später in der Saturday Evening Post ein Bericht über Dr. Wilton M. Krogman erschien, den berühmtesten »Knochendetektiv« der vierziger und fünfziger Jahre. Krogman war physischer Anthropologe und hatte die Wissenschaft der forensischen Anthropologie zusammen mit zwei Kollegen von der Smithsonian Institution mehr oder weniger begründet. Während des Zweiten Weltkrieges galt er in der Gerichtsmedizin als so große Kapazität, dass die US-Regierung ihn in Bereitschaft hielt, damit er die sterblichen Überreste von Adolf Hitler identifizieren konnte. Aber die Russen kamen den Amerikanern in dem ausgebrannten Bunker mit Hitlers Knochen zuvor, und deshalb konnte Krogman nie einen Blick auf den »Führer« werfen. Doch die Polizei und das FBI beschäftigten ihn mit einer Fülle anderer gerichtsmedizinischer Fälle.
In dem Artikel der Post erwähnte Krogman mehrere Wissenschaftlerkollegen, die sich ebenfalls auf die Identifizierung menschlicher Skelettreste spezialisiert hatten. Einer davon war Dr. Charles E. Snow, Professor für Anthropologie an der University of Kentucky, wo ich mich damals gerade auf mein Examen als Anwalt vorbereitete. Die Hochschule, Dr. Snow und ich waren in Lexington ansässig, nur 50 Kilometer vom Schauplatz des erwähnten Lkw-Zusammenstoßes entfernt. Ich wusste es damals noch nicht, aber an diesem Tag sollte ich geradewegs mit meiner Zukunft zusammenstoßen.
Ein Anwalt aus Lexington hatte den Artikel gelesen und war auf die Idee gekommen, Dr. Snow könne vielleicht den dritten Menschen identifizieren, der bei dem Unfall Opfer der Flammen geworden war. Ich hatte damals nur zum Spaß bei Snow eine Anthropologievorlesung belegt. Als der Rechtsanwalt ihn angerufen hatte, fragte er mich, ob ich Lust hätte, ihn zu einem Identifizierungsfall zu begleiten. Es war die Gelegenheit, wissenschaftliche Methoden, von denen ich bisher nur gelesen hatte, auf einen Fall aus dem richtigen Leben anzuwenden. Warum lud er von allen Studenten gerade mich ein, mitzukommen? Vielleicht hatten ihn meine aufkeimenden Fähigkeiten als Wissenschaftler überzeugt; vielleicht auch nur die Tatsache, dass ich ein Auto besaß, mit dem wir hinfahren konnten. Wie dem auch sei: Ich ergriff die Gelegenheit beim Schopfe.
Man hatte die Leiche schon vor einigen Monaten bestattet; der Anwalt erledigte also zunächst einmal den erforderlichen Papierkrieg für die Exhumierung. An einem warmen Frühlingstag im April 1955 fuhr ich mit Dr. Snow zu einem kleinen Friedhof im Osten des mittleren Kentucky. Als wir ankamen, hatte man das Grab bereits geöffnet und den Sarg freigelegt. Der Frühjahrsregen hatte den Grundwasserspiegel fast bis auf Bodenhöhe ansteigen lassen, sodass der Sarg im Wasser stand. Als ein Schlepper des Friedhofs ihn aus dem Grab hob, floss Wasser aus allen Ritzen.
Die Leiche war verbrannt, verwest und voll gesogen - ein herber Kontrast zu den makellos sauberen Knochenstücken, die ich sonst im Labor untersuchte. Herkömmliche anthropologische Fundstücke sind immer rein und trocken; forensisches Material dagegen ist meist feucht und stinkt. Aber intellektuell ist es auch unwiderstehlich: Es birgt wissenschaftliche Rätsel, die danach schreien, gelöst zu werden, Geheimnisse um Leben und Tod, die nur darauf warten, dass man sie ans Licht holt.
An der geringen Größe des Schädels, der Größe des Beckenkanals und dem glatten Augenbrauenwulst konnte ich sogar mit meinem ungeübten Blick erkennen, dass es sich um die Knochen einer Frau handeln musste. Schwieriger war die Frage nach dem Alter: Ihre Weisheitszähne waren vollständig ausgebildet - sie war also erwachsen, aber wie alt? Die zickzackförmigen Schädelnähte waren größtenteils verwachsen, aber noch deutlich sichtbar; das ließ darauf schließen, dass sie zwischen 30 und 50 Jahre alt war.
Wie sich herausstellte, hatte die Polizei bereits eine begründete Vermutung, um wen es sich handeln könnte. Dr. Snows Aufgabe bestand nur darin, die vorläufige Identifizierung zu bestätigen oder auszuschließen. Eine Frau aus dem Osten von Kentucky wurde seit der Zeit des Unfalls vermisst, und das war noch nicht alles: Am Abend vor der Kollision hatten Nachbarn zufällig mitbekommen, dass sie mit einem der Lastwagenfahrer, mit dem sie eine langjährige Beziehung hatte, nach Louisville fahren wollte.
Der Anwalt, der Dr. Snows Hilfe in
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