Der König der Lügen
jemand hatte die Lampe in der Ecke eingeschaltet. Ich sah Mills auf dem Stuhl, und es gelang mir, mich aufzusetzen, bevor sie von ihrem Buch aufblickte.
»Hey«, sagte sie und stand auf. »Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, aber Jean war rund um die Uhr hier, und sie war erschöpft. Ich habe ihr gesagt, ich bleibe hier.« Sie blieb stehen und sah unsicher aus. »Ich dachte, Sie haben vielleicht ein paar Fragen.«
»Ich sollte mich wohl bedanken«, sagte ich. »Weil Sie mir das Leben gerettet haben.« Mills sah noch betretener aus, wenn das möglich war. »Und ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
»Vergessen Sie's«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. »Die Vergangenheit ist tot. Ich habe nicht vor, allzu viel darüber nachzudenken.« Ich deutete auf den Stuhl neben meinem Bett. »Setzen Sie sich.«
»Danke.« Sie setzte sich und legte ihr Buch auf den Nachttisch. Ich sah, dass es ein Krimi war, und fand das irgendwie komisch, weil sie doch bei der Kriminalpolizei war.
»Ich weiß eigentlich nicht, was ich hören möchte«, sagte ich. »Ich hatte noch nicht viel Zeit, über alles nachzudenken.«
»Als Erstes habe ich zwei Fragen«, sagte Mills. »Dann fange ich ganz von vorn an und erzähle Ihnen alles, was Sie wissen wollen.«
»Okay.«
»Wo haben Sie den Revolver Ihres Vaters gefunden?«
Ich berichtete ihr von dem Bach unter dem Parkplatz und von meiner Alptraumsuche im Tunnel. »Ich hatte ein Team in diesen Tunnel geschickt«, sagte sie sichtlich aufgebracht. »Sie hätten die Waffe finden müssen.«
Ich erklärte, dass ich sie tief versteckt in der von Müll verstopften Seitenröhre gefunden hatte, aber ich verriet nicht, woher ich gewusst hatte, dass ich dort suchen musste. Natürlich drang sie auf mich ein, doch ich würde ihr Max nicht ausliefern.
»Jemand hat mir einen Tipp gegeben, Detective. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Als sie es schließlich dabei beließ, tat sie es aus Gefälligkeit als Wiedergutmachung für das, was sie mir angetan hatte. Aber die Fortsetzung des Gesprächs war mühsam. Es fiel ihr nicht leicht, etwas auf sich beruhen zu lassen.
»Und Sie haben das alles getan, um Jean zu schützen? Weil Sie dachten, sie könnte etwas damit zu tun haben?«
»Ja.«
»Warum? Wie kamen Sie auf die Idee, dass Jean ihn umgebracht haben könnte?«
Ich dachte über ihre Frage nach. Wie viel konnte ich ihr anvertrauen? Wie viel wollte sie wirklich wissen? Und vor allem war ich immer noch der Hüter von Ezras Wahrheit? Ich hatte mich abgefunden mit dem, was passiert war, und damit, wie meine Mutter aus dieser Welt geschieden war. Aber konnte die Wahrheit irgendeinem guten Zweck dienen? Ich musste mich fragen: Würde Jean besser schlafen? Oder die Seele meiner Mutter?
»Jean war nicht daheim, nachdem sie das Haus unserer Eltern verlassen hatte. Ich war da und habe sie gesucht.«
Mills unterbrach mich. »Sie ist durch die Gegend gefahren. Sie war aufgewühlt und ist durch die Gegend gefahren. Und dann war sie bei Ihnen, um alles zu besprechen. Sie kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Sie wegfuhren.«
Ich nickte. Es war die einfachste Erklärung, nur war ich nie darauf gekommen. »Jean ist seit einiger Zeit nicht ganz in Ordnung, Detective. Sie war wütend und instabil. Ich konnte kein Risiko eingehen.«
Ich würde Ezras Wahrheit für mich behalten, aber nicht seinetwegen. Manche Wahrheiten lässt man am besten auf sich beruhen. Es war eigentlich ganz einfach.
Mills war sichtlich frustriert. »Sie verschweigen mir eine ganze Menge, Work.«
Ich zuckte die Achseln. »Nicht so viel, wie Sie glauben. Und nichts, was etwas mit Ihrem Fall zu tun hat.«
»War Jean der wahre Grund, weshalb Sie den Tatort sehen wollten?«, fragte sie schließlich, und ich sah ihr an den Augen an, dass sie die Antwort schon kannte. Ich war nur aus einem einzigen Grund am Tatort gewesen, und was immer ich Douglas erzählt hatte, ich hatte es nicht getan, weil ich Jean die Einzelheiten berichten wollte. Und jetzt, da ich wohlbehalten auf der anderen Seite des Geschehens angekommen war, gestattete ich mir ein sehr knappes Lächeln.
»Nein.«
Mills erwiderte das Lächeln nicht. Sie wusste, dass ich es vorher ausgeklügelt hatte, und sie wusste auch, warum. Meine Manipulationen hatten sie in große Verlegenheit gebracht und hätten sie noch sehr viel mehr kosten können: den Fall, ihren Ruf, ihren Job. Aber ich sah, dass sie es verstand. Ich war aus einem einzigen, ganz speziellen Grund an den
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