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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Gesicht und schniefte laut. »Mom ...« , begann sie und brach ab. Tränen traten ihr in die Augenwinkel, und mir wurde bewusst, dass es die erste Gefühlsregung war, die ich bei ihr sah, seit wir unsere Mutter beerdigt hatten. Sie nahm sich zusammen und hob den Kopf. Ihr Blick bat nicht um Nachsicht.
    »Er ist tot, Work, und du bist immer noch sein Äffchen.« Ihre Stimme wurde wieder kräftiger. »Und seine Wahrheit ist auch tot.« Sie putzte sich die Nase mit einer Serviette, zerknüllte sie und warf sie auf den Tisch. Ich starrte das Knäuel an. »Je eher du dich mir der einzigen Wahrheit abfindest, auf die es ankommt, desto besser für dich.«
    »Es tut mir leid, Jean, wenn ich dich aus der Fassung gebracht habe.«
    Sie schaute aus dem Fenster auf den Parkplatz, wo zwei Spatzen miteinander zankten. Ihre Tränen waren schon wieder verschwunden; hätte ihr Gesicht nicht plötzlich Farbe angenommen, hätte man nicht gesehen, dass sie da gewesen waren.
    Ich roch Knoblauch, und unversehens standen zwei Pizzakartons auf dem Tisch. Als ich aufblickte, sah ich den Geschäftsführer. Er ignorierte mich und sprach Jean an.
    »Deine Lieblingskundschaft«, sagte er. »Tut mir leid.« Er wandte sich ab und ging in die Küche zurück. Den größten Teil des Knoblauchgeruchs nahm er mit.
    »Ich muss los«, sagte Jean schlicht. »Auslieferung.« Sie stemmte sich seitwärts aus der Nische, so dass der Tisch wackelte und mein Bier überschwappte. Sie sah mir nicht in die Augen, und ich wusste, wenn ich jetzt schwieg, würde sie wortlos verschwinden. Aber bevor mir einfiel, was ich sagen sollte, hatte sie die Kartons vom Tisch genommen und wandte sich ab.
    Ich wühlte mein Portemonnaie hervor, warf zwei Ein-Dollar-Noten auf den Tisch und holte sie an der Tür wieder ein. Sie ignorierte mich. Ich folgte ihr hinaus in den Sonnenschein und zu ihrem rostzerfressenen Auto. Aber ich wusste immer noch nicht, was ich sagen sollte. Wie kannst du es wagen, über mich zu richten...? Woher hast du so viel Kraft ...? Du bist alles, was ich habe, und ich liebe dich. So etwas vielleicht.
    »Was hat er gemeint?« Ich legte ihr die Hand auf den Arm. Sie klemmte in der offenen Wagentür.
    »Wer?«, fragte sie.
    »Dein Chef. Als er sagte: >Deine Lieblingskundschaft.< Was hat er da gemeint?«
    »Nichts.« Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie etwas Bitteres verschluckt. »Geht um den Job.«
    Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass sie fuhr, aber ich konnte mir nicht vorstellen, warum.
    »Tja«, brachte ich schließlich hervor. »Können wir irgendwann zusammen essen? Auch mit Alex natürlich.«
    »Klar«, sagte sie in dem Ton, den ich schon so oft gehört hatte. »Ich rede mit Alex, und dann rufe ich dich an.«
    Und damit war es erledigt, das wusste ich. Alex würde mit Sicherheit dafür sorgen, dass dieses Essen niemals stattfand.
    »Grüß sie von mir«, sagte ich, als sie sich in den kleinen Wagen fallen ließ und den müden Motor startete. Als sie losfuhr, klopfte ich mit der flachen Hand auf das Dach und dachte, dass der Anblick ihres Gesichts hinter der Scheibe des Wagens mit dem auf dem Dach befestigten »Pizza-Hut«-Schild das Jammervollste war, was ich jemals sehen würde.
    Beinahe wäre ich in mein Auto gestiegen und wünschte mir danach, ich hätte es getan. Aber stattdessen ging ich noch einmal in das Lokal und fragte den Geschäftsführer, was er gemeint habe und wohin Jean gefahren sei. In seiner Antwort offenbarte sich die Art von grausamer Quälerei, die Fliegen die Flügel abreißt und die ich seit der Schulzeit nicht mehr gesehen hatte, und sie gehörte zum Alltag meiner Schwester. Ich saß im Wagen und hatte den Parkplatz verlassen, bevor die Tür des »Pizza Hut« sich hinter mir geschlossen hatte.
    Früher habe ich Obdachlose betrachtet und versucht, mir vorzustellen, wie sie einmal ausgesehen hatten. Das ist nicht leicht. Unter dem Dreck und der Erniedrigung befindet sich ein Gesicht, das einmal von jemandem angebetet worden ist. Diese Wahrheit bringt das Auge in Verwirrung, und unser Blick gleitet zur Seite. Aber etwas ist passiert, das dieses Leben ruiniert und bloßgelegt hat, und es war nichts Großes wie ein Krieg oder eine Hungersnot oder die Pest. Es war eine Kleinigkeit, etwas, das uns anderen nur durch die Gnade Gottes erspart geblieben ist. Das war eine hässliche Wahrheit, die meine Schwester nur allzu gut kannte. Sie war nicht obdachlos, doch das Schicksal und die Gefühllosigkeit anderer hatten sich zusammengetan

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