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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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mich, als mir bewusst wurde, dass ich mich an den Namen des Jungen nicht erinnern konnte. Eine endlose Sekunde lang rang ich verzweifelt mit der Erkenntnis, wie seelenlos mich das machte, und dann flutete der Name in meinen Kopf wie ein Atemhauch.
    Leon William McRae. Ich sah das Gesicht seiner Mutter am Tag der Beerdigung vor mir — wie ihre Tränen durch die dunklen, vom Schmerz gegrabenen Furchen gelaufen und auf den Spitzenkragen ihres besten Kleides getropft waren. Ich erinnerte mich an ihre erstickten Worte, an ihre Scham wegen des Kiefernholzsarges des kleinen Jungen und seines Grabs auf dem Armenfriedhof, das im Schatten des Wasserturms lag. Sie hatte sich Sorgen gemacht, dass er dort niemals die Nachmittagssonne spüren würde.
    Jetzt fragte ich mich, was sie mit dem Geld angefangen hatte, das sein Tod ihr eingebracht hatte; hoffentlich hatte sie es besser verwendet als ich. Um die Wahrheit zu sagen, ich mochte das Haus nicht. Es war zu groß, zu sichtbar. Ich klapperte darin herum wie eine Vierteldollarmünze in einer Blechdose. Aber hier auf den Stufen saß ich immer gern, wenn der Tag zu Ende war. Es war warm in der Sonne. Ich konnte den Park sehen, und die Eichen machten Musik aus dem Wind. Dann bemühte ich mich, nicht an getroffene Entscheidungen zu denken, nicht an die Vergangenheit. Es war ein Ort für Leere und Absolution, und nur selten gehörte er mir allein. Meistens versaute Barbara alles.
    Ich trank mein zweites Bier aus und beschloss, mir ein drittes zu holen. Ich klopfte mir den Staub ab und ging hinein. Als ich durch die Küche kam, sah ich, dass jetzt sieben Nachrichten auf dem Anrufbeantworter waren, und fragte mich flüchtig, ob eine vielleicht von meiner Frau war. Draußen nahm ich meinen Platz gerade rechtzeitig wieder ein, um einen meiner liebsten regelmäßigen Parkgänger um die Ecke kommen zu sehen.
    Seine Hässlichkeit war von einer gewissen Pracht. Bei jedem Wetter trug er eine pelzgefütterte Jagdmütze und ließ die Ohrenklappen gern herunterhängen. Eine fadenscheinige Khakihose umflatterte Beine, die vom Gehen dürr waren, und seine Arme waren so mager wie die eines ausgehungerten Kindes. Eine schwere Brille drückte auf seine Nase, und sein Mund, immer von Barthaaren umstanden, war aufwärts gekrümmt, als hätte er Schmerzen. Er hielt sich an keinerlei Zeitplan und ging wie unter einem inneren Zwang: Um Mitternacht bei strömendem Regen folgte er den Gleisen am Ostrand der Stadt, oder er marschierte dampfend in der Morgensonne durch das historische Viertel.
    Niemand wusste viel über ihn, obwohl er schon seit Jahren da war. Einmal auf einer Party hatte ich seinen Namen aufgeschnappt: Maxwell Creason. An jenem Abend war über ihn geredet worden. Er war eine feste Einrichtung in der Stadt, und jeder sah ihn bei seinen Spaziergängen, aber anscheinend hatte noch nie jemand mit ihm gesprochen. Niemand wusste, wovon er lebte, und alle nahmen an, er sei obdachlos, einer der Stammgäste in den wenigen Unterkünften der Stadt, vielleicht ein Patient aus dem örtlichen Veteranenkrankenhaus, doch die Spekulationen waren alle nicht sehr tiefgründig. Hauptsächlich wurde gelacht — über sein Aussehen, über sein besessenes Spazierengehen. Keine der Bemerkungen war besonders freundlich.
    Ich hatte ihn nie so gesehen. Für mich war er ein Fragezeichen und in mancher Hinsicht die faszinierendste Person in Rowan County. Mitunter malte ich mir aus, wie ich mich ihm anschloss, damit ich ihn fragen konnte: Was sehen Sie da überall, wo Sie hingehen?
    Ich hörte nicht, wie die Tür aufging, aber plötzlich war Barbara hinter mir. Ihre Stimme schreckte mich auf.
    »Ehrlich, Work«, fing sie an, »wie oft muss ich dich noch bitten, dein Bier hinten auf der Terrasse zu trinken? Du siehst aus wie ein Penner, wenn du hier hockst, wo alle Welt dich sehen kann.«
    »'n Abend, Barbara.« Ich drehte mich nicht um, sondern behielt meinen mysteriösen Spaziergänger im Auge.
    Als merkte sie plötzlich, wie schroff ihre Worte geklungen hatten, milderte sie ihren Ton.
    »Natürlich, Honey. Entschuldige. Guten Abend.« Ich konnte sie fühlen, als sie einen Schritt näher kam: eine Mischung aus Parfüm und Geringschätzung, die um mich herum herabrieselte wie Asche. »Was machst du hier?«, fragte sie.
    Ich brachte es nicht über mich, ihr zu antworten. Was hätte ich auch sagen können? »Ist er nicht prachtvoll?«, fragte ich stattdessen mit einem Deuten.
    »Wer? Er?« Sie zeigte auf ihn wie mit einer

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