Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
bitte nicht«, stammelte er, nahm die Hand, die sie ihm entgegenstreckte, und verbeugte sich wie gewohnt vor ihr. Das war vertraut und sicher – er fühlte sich gleich besser.
Philippa lächelte. »Bevor ich als Königin nach England kam, verbrachte Bischof Burghersh einige Wochen am Hof meines Vaters, um mich in den Sitten dieses Landes zu unterweisen. Das meiste habe ich gleich wieder vergessen – er war ja so ein grässlicher Langweiler –, aber eines ist mir in Erinnerung geblieben: Er sagte, innerhalb der Stadtmauern von London sei der Mayor die höchststehende Persönlichkeit gleich nach dem König. Das hat mich tief beeindruckt. Es schien so … ungewöhnlich.«
Jonah musste grinsen. »Und seither habt Ihr auf eine Gelegenheit gewartet, Euch vor einem Mayor innerhalb seiner Stadtmauern zu verneigen?«
»Vor einem Mayor meiner Wahl«, schränkte sie lachend ein.
»Dann erweist mir die Ehre, begleitet mich in meine Halle und nehmt an unserem Festmahl teil. Es ist fast vorüber, fürchte ich, aber ein paar bescheidene Reste werden sich wohl noch finden.«
»Ach, ich weiß nicht, Jonah«, entgegnete sie zaudernd. »Dies ist ein Fest der Bürger dieser Stadt. Wir haben hier eigentlich nichts verloren.«
»Es ist mein Fest, und ich entscheide, wer geladen wird«, widersprach er und fügte in Gedanken hinzu: Schließlich bezahle ich es ja. Er machte eine einladende Geste, die auch die Ritter und den Prinzen einschloss. »Mylord …«
»Mein Vater hat mich beauftragt, Euch die Losung des Tower zu überbringen, Sir Jonah«, erklärte der Prinz ernst. Der Tower gehörte zwar der Krone, doch da er in London stand, hatte der Mayor das Recht, die Losung zu kennen und dort nach Belieben ein und aus zu gehen. Jonah glaubte indes nicht, dass er von diesem Privileg häufig Gebrauch machen würde. »Der Constable wird sie Euch in Zukunft wöchentlich mitteilen, aber heute ist es meine Ehre«, fügte der Prinz mit einem beinah scheuen Lächeln hinzu.
Jonah nickte ernst. »Danke, Mylord.«
»Und wenn Ihr erlaubt, würde ich gern kurz mit Lucas sprechen.«
Warum bin ich nicht überrascht?, dachte Jonah gallig, antwortete jedoch: »Er wird sehr geschmeichelt sein, mein Prinz.«
Am Arm ihres Sohnes betrat die Königin die Halle. Die Feiernden erhoben sich von den Plätzen und verneigten sich, diejenigen, die sie nicht gleich erkannten, wurden von ihren Nachbarn angestupst und flüsternd ins Bild gesetzt, sodass sie sich beeilten, dem Beispiel der anderen zu folgen. Aber Philippas Erscheinen erregte kein großes Aufsehen. Schließlich wusste jedermann, dass der Lord Mayor und die Königin einander nahe standen und Philippa eine besondere Schwäche für London hatte. Sie kam häufiger ohne den König in die Stadt und war ein gern gesehener Gast und eine großzügige Gönnerin in vielen ihrer Kirchen und Klöster.
Nach einigem Sesselrücken wurden zwei weitere Plätze an der hohen Tafel geschaffen. Die Königin nahm neben Jonah, der Prinz neben Giselle Platz, während Waringham und Dermond sich unter die jüngeren Kaufleute mischten, die sie teilweise recht gut kannten, und mit ihnen zusammen dem erlesenen Wein zusprachen.
»Und?«, fragte Philippa Jonah leise, den Kopf wie so oft vertraulich in seine Richtung geneigt. »Wie fühlt Ihr Euch als erster Mann der Stadt, ihr oberster Richter, Befehlshaber ihrer Miliz und Admiral ihrer Häfen?«
Schon allein von der Aufzählung wurde Jonah flau. Doch im Grunde war es nicht so furchteinflößend, wie es sich anhörte. Seit September hatte er seinen flüchtigen Vorgänger schon kommissarisch vertreten und wusste längst, dass es an diesem Amt nichts gab, das er nicht meistern konnte. Er war bis auf den heutigen Tag zu menschenscheu und vielleicht auch zu bequem, um seine Aufgabe und die damit einhergehende Ehre so zu genießen, wie andere es vielleicht konnten, aber er hatte zu seiner eigenen Verblüffung erkannt, dass er dennoch der richtige Mann dafür war.
Was er sich schließlich mit einem leisen Seufzer zu sagen entschloss, war: »Es war der Wunsch meiner Großmutter, dass ich Mayor von London werde, Madame. Und sie war eine von den Frauen, die meist bekommen, was sie wollen.«
Giselle legte verstohlen die Hand auf sein Knie und bemerkte leise: »Wie so viele Frauen in deinem Leben, nicht wahr?«
Sie tauschten ein wissendes Lächeln. Philippa gönnte ihnendiesen Augenblick stiller Vertrautheit, knabberte an ihrem Fasanenschenkel und bemerkte dann scheinbar beiläufig:
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