Der Koenig geht tot
besser Wilfried König, ein Nachbar meiner Eltern. Und das ist mein Freund Vincent Jakobs, der vor einiger Zeit hier in die Gegend gezogen ist.«
Wilfried König hob die Augenbrauen, was angesichts seines Alkoholkonsums eine echte mimische Meisterleistung war. »Dann ist das also jetzt – wenn ich das nun richtig sehe – dann ist das also jetzt dein erstes Stichlingser Schütz’genfest?«
Ich nickte zustimmend.
»Ja, wenn das denn nicht ein Grund für eine Runde ist.« Der König machte ein Zeichen Richtung Theke, und schon nach kurzer Zeit schob ihm jemand ein Tablett über den Tresen mit einer Ansammlung von Pils- und Schnapsgläsern. »In jede Hand eins, damit wir nicht tanzen müssen!« kommandierte Wilfried.
Mir war klar, daß ich jetzt irgend etwas tun mußte, wenn ich den Abend retten wollte. Dann allerdings wurde ich mir wieder einmal meiner traurigen Lage bewußt: Meine Freundin Alexa hatte tierärztlichen Notdienst und war wie immer für jede sauerländische Milchkuh, aber nicht für mich zu sprechen. Darüber hinaus gab es noch ’zig andere Argumente: Köln war weit weg, viel zu weit, nach meiner Ansicht. Die ersten Monate am Elisabeth-Gymnasium waren beinhart gewesen. Ich hatte jeden Tag bis spät in der Nacht am Schreibtisch gesessen. An diesem Wochenende, dem letzten vor den großen Ferien, hatte ich mich endlich mal wieder überreden lassen, abends einen Fuß vor die Tür zu setzen. Kurz: Ich war ein armes Schwein, allerdings ohne Anspruch, deshalb meine geliebte Alexa sehen zu dürfen. Ohne einen weiteren Gedanken griff ich nach dem ersten Glas Bier.
»Glaube, Sitte, Heimat!« prostete Königs Wilfried mir zu, und ich verschluckte mich fast. Das passierte mir nicht zum letzten Mal an diesem Abend. Ich verschluckte mich auch, als Max mich zu einem Tanz aufforderte, allerdings nicht mit ihm, sondern mit einer Frau, die Doris hieß und die Tochter eines guten Taxikunden von ihm war. Nach einem Tanz, den ich als Mittelding zwischen Walzer und Tango umgesetzt hatte, konnte ich mich verdrücken. Kurze Zeit später machte sich jedoch ein älterer Herr bekannt, und zwar als »Doris ihr Vater«. »Doris ihr Vater« war sehr an einer Unterhaltung mit mir interessiert, doch gestaltete sich das Ganze als etwas schwierig. Inzwischen hatte die Kapelle nämlich den Schneewalzer angestimmt, was eine Gruppe von Frauen hinter uns zum Schunkeln veranlaßte. Eine der fröhlichen Damen wollte mich mit überschwenglicher Gestik zum Mitmachen animieren, während »Doris ihr Vater« weiter auf mich einredete. Ich versuchte, beiden zuzuhören, entschied mich aber irgendwann, die Durchfahrt zwischen Gehörgang und Gehirn vorübergehend zu schließen.
Richtig zu Bewußtsein kam ich erst wieder auf der Toilette, eine ganze Zeit später. Ich hatte mich in eine Kabine zurückgezogen, als ich unfreiwillig ein lautes Gespräch mit anhörte, das sich im Vorraum an den Pissoirs abspielte.
»Hallo Herr Schützenbruder, übermorgen isses soweit. Übermorgen hol ich ihn runter!« lallte eine Stimme, die ich eindeutig als die von Wilfried König identifizierte.
»Laß den Quatsch!« sagte eine andere Stimme gut meinend. »Laß das mal lieber die anderen machen!«
»Die andern?« fragte Wilfried im herablassenden Tonfall. »Die andern warn oft genug an der Reihe. Wenn ich das schon höre – die andern. Die letzten Kerle sind das doch – die andern. Da muß erst mal richtig ausgemistet werden in unserem Verein. Dann kommen endlich mal die Richtigen in die erste Reihe. Ich kann dir sagen: Übermorg’n is’ Königs große Stunde. Am Montag wird König der neue König.« Wilfried lachte herzhaft über diesen gelungenen Kalauer.
»Du wirst ganz bestimmt nicht der neue König«, sagte der andere bestimmt. »Damit tust du dir keinen Gefallen.«
»Jetzt hör mir aber damit auf!« Wilfrieds Stimme wurde deutlich ungehalten. »Bin ich euch jetz’ nich’ gut genug? Wer hat euch denn damals den ganzen Vorplatz gepflastert? Der König war das. Da war’s euch ganz passend, daß ich mich jeden Feierabend krumm gemacht hab. Aber wenn’s um den König geht–«
»Wilfried, jetzt nimm Vernunft an! Du wirst nicht schießen!«
»Ich werde schießen!« donnerte Wilfried voller Zorn. »Und wenn ich meine Knarre selbst mitbringen muß!«
Ich hörte eine Tür schlagen. Einer der beiden Kontrahenten hatte den Raum verlassen. Kurz darauf hörte ich auch die Schritte des zweiten. Als ich aus meiner Kabine herauskam und mir die Hände wusch,
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