Der König von Berlin (German Edition)
mittelgescheitelten, braunhaarigen Lanner durch das Vorderhaus in den Innenhof. Wie ein stolzes Kind, das etwas zeigen möchte.
Lanner wirkte angestrengt. Wie immer, wenn er mit Kolbe oder einem anderen altgedienten Berliner Kollegen zu tun hatte. Wenn er ehrlich war, dachte er manchmal sogar selbst, er packe das nicht. Also, dieses ganze Berlin. Dabei war es genau das, was er immer gewollt hatte. Unbedingt. Zur Kripo, in die Mordkommission einer großen Stadt. Wie im «Tatort». Nur deshalb war er doch Polizist geworden. Und wie hart hatte er dafür gearbeitet. Der Riesenfall in seinem niedersächsischen Heimatdorf, den er im Alleingang gelöst hatte. Er wurde befördert und versetzt. Schon Hannover oder Bremen wäre ein Schritt gewesen, aber Berlin, das war der Hauptgewinn. Die Erfüllung seiner Träume. Mit Mitte dreißig Hauptkommissar, und das nicht irgendwo, sondern in der Hauptstadt. Wenn sie ihn jetzt sehen könnten in seiner alten Schule, da würde keiner mehr lachen. Doch ihn konnte ja leider keiner sehen. Obwohl er dafür immerhin auch keinen von den anderen sehen musste.
So richtig rund lief es allerdings nicht. Er hätte schon am ersten Tag misstrauisch werden können, als er in Berlin ankam, im Ostteil der Stadt am alten Mauerstreifen entlangfuhr und plötzlich ein großes Transparent sah: «Wen Gott bestrafen will, dem erfüllt er seine Wünsche.» Von da an kam ihm fast alles quer.
Die neuen Kollegen nahmen ihn einfach nicht für voll. Sie hatten schon das gesamte Arsenal der Neulingsverarsche auf ihn abgefeuert, glaubte er, und doch fiel ihnen jeden zweiten Tag noch was Neues ein. Das Getuschel hinter seinem Rücken, wenn er, das unerfahrene Huhn vom Lande, etwas sagte, der dämliche Spitzname Dorfsheriff, den er sich auch noch selbst eingebrockt hatte, weil er meinte, es sei witzig, sich mit dem Satz vorzustellen: «Berlin, aufgepasst, der neue Dorfsheriff ist da!» Es gibt Sätze, bei denen weiß man schon, bevor man sie zu Ende gesprochen hat: Es war ein Fehler, sie überhaupt anzufangen. Dazu die Schikane mit dem Dienstwagen. Er hielt es zumindest für reine Schikane, dass er immer noch mit einem alten grün-weißen Streifenwagen durch Berlin fahren musste. Verdammt, er war Hauptkommissar der Kriminalpolizei. Er hatte Anspruch auf einen richtigen Dienstwagen, einen zivilen, mit Navi. Vor allem mit Navi! Es ist so demütigend, mit einem alten grün-weißen Streifenwagen nach dem Weg fragen zu müssen. Gerade in Berlin. Denn die Berliner finden es quasi konkurrenzlos witzig, einen Polizisten, der sich in ihrer Stadt offensichtlich nicht auskennt und vielleicht auch einen leicht norddeutschen Dialekt spricht, mal richtig in die Walachei fahren zu lassen. Deshalb war er wieder so spät dran. Weil die Berliner, die er nach dem Weg gefragt hatte, ihn ein bisschen die große, fremde Stadt angucken schickten. Vermutlich hatten sie ihre Freude.
Im Innenhof war nur noch ein Beamter, der mit zwei Männern sprach. Lanner schaute Kolbe überrascht an. «Wo sind denn Ihre ganzen Leute?»
«Wir sind hier erst mal fertig. Die Leiche oder das, was davon noch übrig ist, haben wir in dem Plastikbeutel beisammen, und der Rest ist abgesperrt. Es läuft uns nichts weg.»
Der junge Hauptkommissar atmete tief durch. Im Grunde seines Herzens war Kolbe wahrscheinlich nicht mal verkehrt, aber es war auch klar, dass es auf ewig so weitergehen würde, wenn sich Lanner jetzt nicht endlich Respekt verschaffte. Wie eine Espressomaschine, die kontrolliert Dampf ablässt, zischte er: «Jetzt hören Sie mir mal gut zu. Das ist mein Fall. Ich leite die Ermittlungen, und hier hat niemand ‹erst mal fertig› zu sein, bevor nicht der leitende Hauptkommissar den Fundort gesehen hat. Ist das klar?»
Kolbe versuchte ein Lächeln. «Na ja, ich dachte …»
Jetzt kam der Dampf stoßweise aus Lanner: «Sie sollen nicht denken. Sie sollen Spuren sichern. Und wenn Sie etwas herausfinden, dann sollen Sie mir das mitteilen. Ganz einfach. Und ich gebe Ihnen noch eine ganz einfache Anweisung: Ich will bis spätestens morgen früh wissen, wer der Tote ist und woran er gestorben ist. Würden Sie sich bitte allein darauf konzentrieren, denn das, und nur das, ist Ihre Aufgabe, Herr Kolbe!»
Das hatte gesessen. Lanner konnte förmlich hören, wie es in Kolbes rundem Kopf rumpelte und arbeitete. Im Tonfall eines ertappten Kindes murmelte er: «Entschuldigen Sie, Herr Lanner, ich wollte nicht vorgreifen. Wissen Sie, ich bin manchmal wohl
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