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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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Markt. Auf der Matadero waren Straßenhändler, und zwei Kartenlegerinnen in weiten Röcken saßen Zigarre rauchend in den großen Fensteröffnungen des Markts. Eine von ihnen hatte gerade keinen Kunden. Die andere legte einer Bäuerin und ihrer Tochter die Karten. Sie gab ihnen Ratschläge, Anweisungen für Mittel, Gebete, Amulette und Kräuterbäder. Die Bäuerin, ihre Tochter, ihr Sohn und ihr Mann hatten alle Probleme, viele Probleme. Ein großes Problembündel für jeden. »Alles wird gut, alles wird gut. Der Tote sagt, dass sich alles regeln lässt«, wiederholte die Schwarze, legte die Karten, deckte die Probleme auf und wies hinterher die Heilmittel für jeden an. Die Bäuerin war furchtbar verängstigt. Rey sah zu, hörte zu. »Hmmm«, dachte er. Nur das: »Hmmm, hmmm.«
    Die andere Kartenlegerin rief ihn zu sich: »Komm mal her. Setz dich.«
    »Ich habe kein Geld.«
    »Ich weiß, du hast nicht mal einen Platz zum Totumfallen. Aber das hier ist eine milde Tat. Setz dich, ich muss dir zwei, drei Dinge sagen, damit sich dir Wege öffnen.«
    »Nein, nein.«
    »Du hast einen dunklen Toten mit Kette. Und den schleppst du von Geburt an mit dir herum. Setz dich, du brauchst nichts zahlen.«
    Rey ging weiter. Solche Dinge machten ihm Angst. Die Frau sprach weiter, und er hatte gerade noch Zeit, zu hören, wie sie sagte: »Dein Problem ist keine Kleinigkeit. Er ist ein starker Toter, und er reißt dich …«
    Er legte einen Schritt zu und entfernte sich von dieser eindrucksvollen Schwarzen mit ihrer Zigarre und ihren Toten.
    »Verdammte Scheiße! Bleibt mir bloß vom Hals!«, murmelte Rey und setzte sich an die andere Straßenecke. Zwei unglaublich schmutzige alte Männer mit Backenbart und ekelhafter, zerschlissener Kleidung verkauften Zahnpastatuben, Rasiermesser, zwei kleine Päckchen Kaffee. Er setzte sich neben sie. Einer fragte ihn etwas, aber er hörte nicht hin. Die Schwarze hatte ihm Angst gemacht. »Dunkler Toter mit Ketten. Himmel!« Er stand auf und lief weiter. Er hatte Hunger, fragte bei anderen Verkäufern an. Niemand wollte Hilfe. »Ich werde ein paar Brote mit Tortilla klauen müssen«, dachte er. Er sah sich um. Kein Polizist in Sicht. Er konnte die Brote packen, quer über die Straße zum Bahnhof laufen und weiter die Monte hoch. Er dachte nicht groß nach, ging zu dem Stand. Es waren keine Kunden da, nur der Verkäufer. Aber es misslang, weil er sich nervös mit der Zungenspitze die Lippen befeuchtete. Als er sich dann auf die Brote mit der Tortilla stürzte, hatte der Verkäufer, ein junger, hellhäutiger und flinker Mulatte, bereits darauf gewartet, packte ihn seinerseits am Handgelenk und rief: »Polizei, Polizei!« Rey war entsetzt, als er sich so in die Enge getrieben sah, nahm alle Kraft zusammen, drängte den Typen zurück, trat gegen den Stand und stürzte ihn fast um, der Typ ließ ihn los, und er rannte davon. Er hatte nichts gestohlen, also war er nicht schuldig. Er ging weiter die Belascoaín hoch. Als Erstes kam ihm in den Sinn, zum Stadtteil Jesús María zu spazieren und Magda aufzusuchen. Es musste ungefähr fünf Uhr nachmittags sein. In einer Bar saßen mehrere Männer, tranken Rum, rauchten in aller Ruhe und sahen den Frauen nach, die auf dem Bürgersteig vorübergingen: Schwarze, Mulattinnen, Weiße, provokativ, mit gutem Arsch, fröhlich, schwitzend, das süße Bäuchlein und den Bauchnabel mit einer sehr kurzen Bluse zur Schau gestellt, und einer sich gut unter den Lycras abzeichnenden Möse. Wollust, Begierde, Sinnlichkeit, Schweiß, der ihnen den Rücken runterläuft, der Gang weich mit schön schwingendem Po, der Blick herausfordernd. Das war ein guter Platz. Alles schmutzig, zerstört, verfallen, kaputt, aber die Leute schienen unverwüstlich. Sie lebten und dankten den Heiligen für jeden Tag in ihrem Leben und genossen ihn. Zwischen Schutt und Dreck, aber sie genossen ihn. Sollte er Magda aufsuchen? Es war sehr früh. Magda war wahrscheinlich gerade dabei, Erdnüsse zu verkaufen. Langsam ging er weiter die Belascoaín hinunter zum Malecón. Manchmal beobachtete er gerne. Jetzt hatte er Hunger wie ein Wolf. Ohne Essen und ohne Geld musste er noch besser Ausschau halten. Vielleicht kam etwas Essbares in Sicht. Am Malecón setzte er sich auf die Mauer, um die frische Luft zu atmen. Wie immer hatte er so großen Hunger, dass er ihn gar nicht mehr spürte. Es war sehr heiß, obwohl schon die Dämmerung über dem Meer rosa, orange, grau, rot, blau, violett, weiß entflammte.

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