Der König von Havanna
Das kann man nur glauben, wenn man es gesehen hat. Die Sonne, die im Meer versinkt, und all diese Farben am Himmel. Rey, ohne Hemd, rann der Schweiß aus den Achselhöhlen und über den Rücken hinab zum Po. Auch um die Eier schwitzte er, und er stank von oben bis unten, glühend vor Hitze. Seit vielen Tagen hatte er sich nicht mehr gewaschen. Seine Achseln rochen streng. Das gefiel ihm. Mehrmals am Tag sog er seinen Geruch tief ein, und das erregte ihn. Er hatte eine kleine Erektion. Aber er musste pinkeln. Er setzte sich ganz auf die Kante der Brüstung, zog seinen halbsteifen Schwanz hervor und pinkelte ins Meer. Eine Frau, die sich mit ihrem Liebsten küsste, sah ihm unverblümt zu, entzückt von dem herrlichen Apparat. Rey bemerkte es, und es gefiel ihm. Er rieb ihn sich ein wenig, spuckte auf die Eichel, damit der Schwanz besser glitschte, und wichste ihn ein wenig zu Ehren seiner Bewunderin. Der Mann saß mit dem Rücken zu ihm und hatte keine Ahnung, was da vor sich ging. Die Frau hielt ihm den Kopf, küsste ihn auf den Hals, und fast fielen ihr die Augen aus dem Kopf angesichts von Reys Ding. Er hatte sich an seinem eigenen Körpergeruch erregt, genau wie es die Affen und viele andere Tiere tun, der Mensch eingeschlossen. Und jetzt hatte er eine derartig enthusiastische Bewunderin, dass sie jeden Moment ihren Liebhaber sitzen zu lassen drohte, um zu Rey rüberzukommen und seine Masturbation sanft in die eigenen Hände zu nehmen. Doch da musste Rey wieder an seinen Hunger denken.
»Wenn ich jetzt komme, falle ich um, bloß nicht!«, ging es ihm durch den Kopf. Er steckte sein Material wieder weg, warf seinem jungen Fan einen letzten Blick zu und ging den Malecón entlang zum Hafen. Er blieb einen Augenblick stehen und sah sich suchend nach Magda um: die Bushaltestelle an der Ecke San Lázaro und Marqués Gonzáles, das Kirchenportal, die Krankenhausecke, der Maceo-Park. Langsam ließ er den Blick schweifen. Magda war nicht da. Er hatte Lust, sie zu sehen, mit ihr zu schlafen, ihren Arsch zu küssen und eine dieser Vögeleien zu veranstalten, die drei Tage dauerten und erst aufhörten, wenn ihnen Möse und Schwanz so sehr brannten, dass sie dazu gezwungen waren, weil sie sonst zu bluten anfingen.
»Wo steckt diese Verrückte? Mit wem ist sie wohl zusammen?«, fragte er sich ein ums andere Mal und gab’s dann auf. Er ging zwei Häuserblocks weiter den Malecón entlang, aufs Geratewohl, hungrig und ohne Geld. Sein Glück und Unglück zugleich war, dass er genau in der gegenwärtigen Minute lebte. Präzise vergaß er die vorausgegangene und nahm von der kommenden keine einzige Sekunde vorweg. Es gibt Leute, die leben für den Tag. Rey lebte für die Minute, für exakt den Moment, in dem er atmete. Das war entscheidend, um zu überleben, und gleichzeitig machte es ihn unfähig, konstruktiv zu planen. Er lebte auf dieselbe Weise wie stagnierendes Wasser in einer Pfütze: unbeweglich, verdreckt und in widerlicher Fäulnis verdampfend, sich verflüchtigend.
Er setzte sich wieder auf die Mauer. Die Abenddämmerung entflammte noch stärker. Der Himmel, das Wasser, die Hauswände, die Felsen der Küstenriffe und die sie bedeckenden grünen Flechten, das Quaderstein-Mauerwerk von El Morro, alles, was dieses Licht berührte, wurde golden, rosa, violett – unbeschreibliche Farben. Schönheit berührte ihn. In der Abenddämmerung, bei den Frauen, in der Lebensfreude, die um ihn herum toste, in der Musik, in der unendlichen Allgegenwart des Meeres, in der Luft voller Gerüche. Das pulsierende Leben. Und er alldem fremd.
Trotzdem fühlte sich Rey in dem Moment wohl. Er wusste nicht, warum. Niemand hatte ihm beigebracht, das Schöne zu genießen. Aber das war ein guter Moment. Angetan sah er aufs Meer hinaus, da blieb sein Blick plötzlich an einem weißen Bündel hängen, das in der Nähe schwamm. Die Strömung und die Nordwestwinde trieben es auf die Küste zu. Es war ein weißes Laken voll angetrockneter Blutflecken, gut verschnürt. Es enthielt etwas. Etwa ein totes Kind? Von einer Mutter, die es zur Welt gebracht, getötet und ins Meer geworfen hatte? Oder Teile eines zerstückelten Körpers? Rey sah sich um. Es war niemand in der Nähe. Er konzentrierte sich auf das Bündel, versuchte die Form eines Kopfes, eines Armes auszumachen. Es konnten keine Innereien und Abfälle von einem Schwein oder einem Hammel sein. Niemand wirft ein Laken weg. Da hatte man jemanden im Bett umgebracht, in Stücke gehackt, und dieses
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