Der König von Havanna
glauben und an deine Spielchen mit den Karten und den ganzen Scheiß. Ich glaube an nichts! Nicht einmal an mich!«
»Ich verstehe dich, Rey. Möge Gott dir vergeben.«
»Erzähl mir nicht immer wieder denselben Scheiß!«
Rey war wütend geworden. Er ging aus dem Haus hinüber in die Bar, um Rum zu trinken. Er war wirklich außer sich vor Wut. In seiner Tasche hatte er zwanzig Pesos, die er auf den Tresen legte, und er sagte zu dem Typen: »Dafür Rum!«
Der Barmann stellte ihm ein Glas und eine drei viertel volle Flasche billigen Rum hin, einen wahren Rachenputzer. Durstig trank Rey. Innerhalb von zwei Minuten hatte er schön einen sitzen. In der Tür der Bar erschien Daisy und rief ihn.
»Rey, komm bitte einen Moment her.«
»Lass mich in Ruhe.«
»Hör auf, dich zu betrinken, Rey, komm her. Wir gehen nach Hause.«
Um diese Zeit war die Bar fast leer und ganz still. Ab acht Uhr abends war das Viertel tot. Nur Rey, zwei andere Gäste und der Wirt. Einer der Gäste, ein alter, magerer, zu Blödeleien aufgelegter Mulatte, fing an, mit schöner Stimme zu singen:
Sie sind schuld
an allen meinen Ängsten
und allem meinem Gram.
Sie haben mir das Leben
mit süßer Unruhe erfüllt
und auch mit bittrer Scham.
Ihre Liebe ist wie ein Schrei,
den ich hier in der Seele trag …
Rey hielt das nicht aus. Er riss sich zusammen, um dem alten Narren nicht mit der Flasche eins über den Schädel zu ziehen. Er schloss die Augen, um an sich zu halten. Er ergriff die Flasche Rum und ging die Águila hinunter zur Neptuno. Daisy in ihrem leichten Morgenrock, den Hausschlüssel in der Hand, folgte ihm in ihren Gummilatschen und flehte: »Mein Junge, nach allem, was ich für dich getan habe. Sei jetzt nicht undankbar.«
»Lass mich in Ruhe.«
»Rey, im Namen deiner Mutter, geh nicht so fort. Ich habe dich nie danach gefragt, wer du bist oder woher du kommst. Nichts …«
»Es geht dich auch gar nichts an.«
»Ich weiß, dass es mich nichts angeht. Ich werde dir nie Fragen stellen. Aber lass zu, dass ich mich um dich kümmere, Rey. Hör auf zu trinken.«
»Lass mich in Ruhe und hör auf zu nerven, du Scheißalte.«
»Was heißt hier Alte? Ich und alt?«
»Ja, genau du. Scheißalte. Lass mich in Ruhe und scher dich nach Hause.«
»Nur mit dir. Nicht alleine.«
Daisy kam näher und packte ihn am Arm. Der Streit wurde mit lauten Stimmen geführt. Rey grölte mitten auf der Straße. Sie sprach vorsichtiger. Einige Leute sahen ihnen von ihren Balkons und vom Bürgersteig aus zu. Das bei Havannas Bewohnern beliebteste Spektakel: ein Zoff auf der Straße zwischen Mann und Frau. Jemand rief von einem Balkon zu Daisy hinunter: »Mach schon, du Herzensbrecherin … kleine Jungs gefallen dir wohl verdammt gut, du Schlampe.« Daisy drehte sich in die Richtung, aus der die ungebetene Stimme kam.
»Das hier ist mein Mann! Von wegen Jüngelchen! Sein Schwanz könnte dir den Arsch zerreißen, du Schwanzlutscher! Los, komm runter, du feige Schwuchtel!« Dieselbe spöttische Stimme näselte, um unerkannt zu bleiben: »Los, du alte Genießerin, steck dein Söhnchen schön ins Bettchen!«
Daisy erwiderte nichts. Der Spötter witzelte weiter: »Bring ihn schön heim und gib ihm sein Fläschchen.«
Sie achtete nicht weiter auf das Gespött. Sie presste sich an Rey und streichelte ihm den Arm.
»Schätzchen, du wirst noch verrückt. Lass mich eine Reinigung an dir vornehmen. Du wirst schon sehen, wie dir der Verstand klar wird.«
»Fängst du schon wieder mit diesem Schwachsinn an?«
»Nein, nein, ich sage ja gar nichts. Aber lass uns jetzt nach Hause gehen, mein Liebster. Morgen früh nehme ich eine Reinigung an dir vor. Es ist nur zu deinem Besten, Rey, du wirst sehen, wie gut du dich danach fühlst.«
Rey zog es vor, nicht zu antworten. Er schwieg. Sie gingen weiter. Auf der Águila, wenn man nach Zanja kommt, gegenüber der Telekom, stand ein riesiges, halb zerfallenes, unbewohntes Mietshaus. In großer Dunkelheit. Es war fast Mitternacht. Ein Ort für Schwule, Kontaktsucher, Spanner, junge Mädchen, die für einen Quickie-Handjob ein paar Pesos verdienen wollten, Bettler und alle möglichen Dealer. Rey betrat das Gebäude. Daisy erschrak.
»Himmel, Rey, das hier ist ein gefährlicher Ort.«
»Der Gefährliche hier bin ich! Da, gönn dir einen Schluck.«
Sie setzten sich auf einen großen Stein, beruhigten sich und tranken den Rest der Flasche aus. Langsam fühlte sich Rey wieder unter Kontrolle. Im Halbdunkel um ihn
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