Josef und Li: Roman (German Edition)
1
An diesem Morgen schliefen noch alle, Mama Sascha, Papa Ladislav und die Schwester Vendula, und vielleicht auch die Schildkröte, aber das war nicht ganz sicher. Nur Josef und vielleicht auch die Schildkröte, die schliefen nicht. Josef verhielt sich leise und nahm Rücksicht, wie es ihm die Eltern ganze elf Jahre lang eingeimpft hatten, und so schlich er ganz leise und ganz rücksichtsvoll in das Zimmer von Vendula.
Schon gestern hatte er den Einfall gehabt und alles vorbereitet. Den roten Luftballon, den er im Bad mit Wasser gefüllt hatte, sodass er aussah wie eine schwabbelige, träge Blase, die Schnur aus der chinesischen Blechdose und das kleine Rohr, in das man hineinpusten konnte – das trug er allerdings schon immer bei sich.
Vendula träumte wohl etwas sehr Angenehmes, denn um
ihren Mund zog sich ein Lächeln wie ein klebriger Karamellfaden aus einem Schokoriegel. Vielleicht hatte sie auch heimlich einen solchen Riegel vor dem Schlafengehen gegessen und Josef nichts davon abgegeben und danach nicht einmal die Zähne geputzt.
So wie sie im Bett lag und schlief, wie sie sich nicht rührte und nicht sprach, kam sie Josef sogar ganz liebenswert und hübsch vor, und vielleicht hätte er sie im Fragebogen bei der Frage Wen magst du auf dieser Welt am liebsten? nicht an die allerletzte Stelle gesetzt, gleich hinter das Eichhörnchen, das er einmal im Park fast mit einer Spielzeugpistole erschossen hätte, wofür er sich aber hinterher sehr geschämt hatte. Dafür jedoch müsste Vendula mindestens vierundzwanzig Stunden am Tag schlafen.
Josef band den Luftballon an die Lampe über das Bett der Schwester. Der Ballon wippte hin und her und sah wie eine riesige, vollgesogene Zecke aus, was Josef ausgesprochen gut gefiel. Und dann zog er sich so schnell wie möglich aus Vendulas Zimmer zurück. Wenn Vendula wach war, durfte er an diesen Raum nicht einmal denken, geschweige denn ihn betreten!
An der Schwelle duckte er sich, zog das Röhrchen aus seiner Tasche, zielte – und peng! Einen Augenblick später quoll ein Schwall Wasser aus dem Ballon direkt in Vendulas Bett hinein. Josef sah noch aus dem Augenwinkel, wie sich seine Schwester ver wirr t im Bett aufrichtete. Unmittelbar darauf erschütter te die Wohnung ein solches Gekreische, dass im Kühlschrank die Eiswürfel ratterten und sogar die Eltern wach wurden, vielleicht auch die Schildkröte.
In dem Augenblick aber lag Josef schon in seinem Bett und
stellte sich schlafend. Der Einfall erschien ihm einfach grandios. Bis auf einen dummen roten Fetzen nassen Gummis, der oben an der Decke kleben blieb. Vendula konnte letzten Endes froh sein, dass er dem Wasser nicht noch irgendetwas Stinkendes beigemischt hatte. Und sie musste morgen früh nicht mehr duschen. Er suchte noch nach ein paar weiteren Vorteilen seiner Erfindung, aber Vendula war nun einmal drei Jahre älter und fünfzehn Zentimeter größer als er und sie drosch gerne lange und gnadenlos auf Josef ein.
Immer wenn Josef und Vendula einander jagten, rauften und herumschrien, lehnte sich Frau Kličková mit ihrem ganzen Körper gegen den Wasserkessel und wippte ein wenig hin und her. Vielleicht dachte sie, wenn sie den Kessel mit ihrem Körper wärmte, würde das Wasser darin schneller kochen. Aber vielleicht war das nur ein Trick, um länger die Augen geschlossen zu halten und ihre Hände am Kessel wärmen zu können.
Die Morgenstunden waren für Frau Kličková am schlimmsten. Zu dieser Tageszeit sah sie alles schwarz. Morgens hatte sie immer das Gefühl, ihr Leben hätte keinen Sinn und all die Mühe, ihre Kinder zu wohlerzogenen, gebildeten und reinlichen Menschen zu erziehen, wäre absolut vergeblich. Josef gab ihr heimlich Recht und er fand es überhaupt nicht schlimm, wenn er eines Tages als Müllmann, als schmuddeliger Gammler oder als Kanalreiniger enden sollte, wie es ihm Frau Kličková vorhersagte.
Gelegentlich entkam nicht einmal Herr Klička der schwärzesten Morgenlaune von Frau Kličková. Sie stellte ihm tückische Fragen, die sich hauptsächlich auf die Einrichtungsgegenstände
in der Wohnung bezogen: »Könntest du mir, Ladislav, bitte sagen, wie viele Beine dieser Tisch hat?«, fragte zum Beispiel Frau Kličková Herrn Klička, der ihr leichtherzig darauf antwortete: »Drei, Saschenka, drei.«
Josef kam es überhaupt nicht seltsam vor, dass ihre Tische bestenfalls drei Beine besaßen, dass an einigen Stühlen die Lehne fehlte oder an Schränken Türen oder an Türen Klinken.
Weitere Kostenlose Bücher