Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Sibirien (German Edition)

Der König von Sibirien (German Edition)

Titel: Der König von Sibirien (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edwin Klein
Vom Netzwerk:
Aber Alexander fand keine Zeit, sich Gedanken über die widrigen Umstände zu machen, denn ein zweiter Uniformierter rammte ihm einen Stock in den Rücken und trieb ihn zur Eile an. Durch enge Gänge, deren feuchte Wände im Gegenlicht glitzerten, führten sie ihn bis zu einer Metalltür, an der Wassertropfen nach unten liefen und sich auf dem Fußboden in einer kleinen Lache sammelten. Auf Befehl wurde sie geöffnet.
    Wenige Minuten später stand Alexander erneut dem Major gegenüber. Der sah frisch aus, als hätte er die ganze Nacht ausgiebig geschlafen. Aber die Uhr an der Wand dokumentierte unmissverständlich: Es war fünf in der Früh.
    »Ich bin Major Selmikow«, stellte sich der schlanke, drahtige
    Mann mit ruhiger Stimme vor. »Und ich bin zuständig für Ihren Fall. Wir werden in der nächsten Zeit miteinander zu tun haben. Machen wir es uns doch gegenseitig so angenehm wie möglich.« Alexander wagte nicht zu reagieren.
    »Jawohl. Genosse Major, heißt das«, belehrte ihn einer der Uniformierten, der hinter ihm stand. Und Alexander spürte hart den Stock in seinem Rücken.
    »Jawohl. Genosse Major.«
    »Und glauben Sie mir, Alexander Gautulin, meine Vorgesetzten haben mit mir eine gute Wahl getroffen. Ich habe noch immer erfahren, was ich erfahren wollte.«
    Wieder der Stock, jetzt: noch etwas fester.
    »Jawohl. Genosse Major.«
    »Haltung«, zischte der Uniformierte. Und Alexander, obwohl müde bis zum Umfallen, straffte sich.
    »Ich erwarte von Ihnen, dass Sie mir all Ihre Hinterleute nennen. Jeden einzelnen. I laben Sie mich verstanden?«
    Alexander verstand überhaupt nichts. Aber um dem Stock zu entgehen, beeilte er sich. »Jawohl, Genosse Major.«
    »Und noch etwas, Gautulin, falls das überhaupt Ihr richtiger Name ist. Wir haben Zeit, viel Zeit. Betrachten Sie sich als mein Gast.«
    »Jawohl, Genosse Major.«
    »Zigarette?«
    »Ja, gerne, Genosse Major.«
    Selmikow hielt ihm ein Päckchen hin, und Alexander registrierte erstaunt die ausländische Marke.
    »Marlboro. Haben Sie schon mal eine Marlboro geraucht?« »Nein, Genosse Major.«
    »Eines muss man dem imperialistischen Westen lassen - seine Zigaretten schmecken gut.«
    »Jawohl, Genosse .Major.« Der Stock traf ihn in der Nierengegend.
    »Sie haben sich nicht über den Westen zu äußern, Gefangener. Verstanden?«
    Alexander stöhnte auf. »Jawohl«, quetschte er zwischen zusammengebissenen Lippen hervor.
    »Jawohl, Genosse Aufseher«, schnauzte der Wachposten.
    Alexander wollte den Stock vermeiden, aber so schnell, wie der wieder tief in seinen Körper zuckte, konnte er nicht antworten. Mit noch mehr Schmerz in der Stimme schickte er hinterher: »Jawohl, Genosse Aufseher.«
    Major Selmikow schien die Szene amüsiert zu haben, er schmunzelte.
    »Wissen Sie eigentlich, wo Sie sich hier befinden?«
    »Jawohl, Genosse Major.«
    »Wirklich?«
    »Ich glaube, Genosse Major.«
    »Wir ...« der Major umschloss mit einer Handbewegung den Raum und meinte das Gebäude, »... wir sind das Herz der Sowjetunion, sind immer präsent, auch wenn man uns nicht sieht, wir opfern uns für unser Land und bewahren es vor jedwedem Schaden.«
    »Jawohl, Genosse Major.«
    »Nur weil es uns gibt, ist die Sowjetunion so stark und so mächtig. Kapitalisten und Revanchisten haben da keine Chance.« »Jawohl, Genosse Major.«
    Kurz darauf landete Alexander wieder in der Zelle. Das Licht erlosch, er legte sich auf die harte Pritsche. Zwei Minuten später, so zumindest kam es ihm vor, wurde er erneut geweckt und in das zweite Stockwerk gebracht. Der Major redete über banale Dinge, ohne eine einzige Frage zu stellen. Stattdessen ging er auf das Komitee für Staatssicherheit ein, dessen Aufgabe es sei, die sowjetischen Denk-, Rede-und Verhaltensweisen zu regulieren, Kunst, Religion, Erziehung, Wissenschaft, Polizei, Presse und Militär zu lenken und zu überwachen. Das KGB, ein stabiles Gerüst des Sozialismus, unbestechlicher Wächter der Nation.
    Nach diesen Ausführungen durfte Alexander zurück in sein kaltes, feuchtes Kellerloch, um den kommenden Tag und die kommende Nacht im Rhythmus von zwei Stunden stets aufs Neue diesem Major vorgeführt zu werden. Der stand, nun jedes Mal in voller Uniform und ohne das geringste Zeichen von Ermüdung, vor Alexander und erging sich in Nebensächlichkeiten. Die Planerfüllung der Landwirtschaft, das neue Agrarprogramm in Kasachstan, die Urbarmachung der Steppe, die endlich dazu führe, den Westen zu übertrumpfen. Und Alexanders

Weitere Kostenlose Bücher