Der Königsschlüssel - Roman
den Weberknecht, der endlich ein Bein hob, aber da war es schon zu spät.
Vom Baum gegenüber kam Cepheis zweiter Freund angeflogen, stürzte sich auf das Spinnentier und schluckte es im Ganzen herunter.
»Er hätte sich ja nur bewegen müssen, oder?« Cephei sah den Erdwühler an, und der Vogel blickte aufmerksam zurück.
Mit einem Finger strich er dem Erdwühler über den Kopf. Die meisten Leute wussten nicht, wie weich das Gefieder am Kopf eines Erdwühlers war, es sah so struppig und schmutzig aus. Sie hielten den Vogel für hässlich und jagten ihn fort, sobald er sich in ihrer Nähe niederließ, weil er so schmutzig braun war und mit dem langen platten Schnabel in der Erde wühlte, auch in frisch ausgehobenen Gräbern, und das verschaffte ihm seinen schlechten Ruf. Doch Cephei fand ihn wunderschön. Es lag wohl an den dunklen Augen, die ihn groß und aufmerksam anschauten.
Manchmal kam er sich selbst wie ein Erdwühler vor, nur dass er nicht im Boden wühlte, sondern im Dreck. Die Menschen jagten ihn auch fort, wenn er sich in ihre Nähe wagte, es sei denn, sie schickten ihn nach Essen oder Bier. Vielleicht lag es daran, dass er weder den Namen seiner Mutter noch den seines Vaters kannte. Sie hatten keinen Zettel hinterlassen, als sie ihn eines Nachts vor die Tür des Waisenhauses gelegt hatten. Der fehlende Name war ein Makel, den er nicht loswurde. Also hatten sie ihm im Waisenhaus einfach den nächstbesten Namen gegeben. Doch die Menschen blieben misstrauisch, als mache es einen Unterschied, von wem man seinen Namen bekam.
»Du hast doch auch keinen. Mögen dich die anderen Vögel deswegen weniger?«, fragte er den Erdwühler, der mit dem Schnabel klapperte. »Siehst du.«
Als Dorado ihn vor vier Jahren aus dem Heim geholt hatte, hatte Cephei geglaubt, jetzt würde er endlich ein Zuhause finden, und irgendwie hatte er das ja auch. Es war nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte, aber es war das einzige Zuhause, das er kannte.
Aber all das würde sich ändern, wenn er erst Knappe wäre. Equu erzählte, seine Kammer im Haus des Ritters sei dreimal so groß wie diese hier, und Cephei glaubte ihm. Dreimal so groß, und auch die Decke sei nicht so niedrig.
»Tja«, sagte er zu dem Vogel. »Langsam sollten wir los zur Zeremonie und zum Turnier, was?« Der Erdwühler legte den Kopf schief, und Cephei nickte. »Wenn ich wissen will, was von einem Knappen alles erwartet wird, muss ich sie doch beobachten, oder?«
Wieder einmal bekam er von dem Vogel keine Antwort, das war das Schwierige an ihrer Freundschaft.
»Wenn ich erst mal Knappe bin, esse ich auch Kuchen, bestimmt. Und natürlich Fingerfische. Tütenweise Fingerfische. Dann kann ich dir davon abgeben. Wäre doch mal was anderes als immer nur Brot für mich und Weberknechte für dich, oder?«
Es würde eine tolle Zeit werden. Auch Equu sah besser aus, seit er nicht mehr für Dorado schuftete. Cephei musste einfach durchhalten, irgendwann würde sich auch ihm eine Chance bieten, er musste nur in Bewegung bleiben, immer in Bewegung.
Er klopfte sich auf die Schenkel und kletterte aus dem kleinen Fenster, um in die Stadt zu laufen.
DER KANZLER
Das Zimmer sah noch genauso aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Vielleicht ein bisschen kleiner, aber das konnte auch daran liegen, dass Vela wieder ein Stück gewachsen war. Die Dielen waren dunkel gestrichen. An den Wänden hingen Strohbilder, für die die Stadt berühmt war, und die einen schwachen Duft nach Feldern verbreiteten.
In den Rahmen posierten frühere Würdenträger vor beeindruckenden Landschaften, auch der Mechanische König selbst war abgebildet: ein freundlicher Sieger über die Feinde des Reichs.
Zwei seiner größten Siege erkannte Vela auf den Darstellungen: Vor dreihundert Jahren hatte er die kannibalischen und plündernden Horden der gescheckten Wolfsreiter zurückgeschlagen, und kurz vor Velas Geburt hatte er die kahlköpfigen Seefahrer mit den goldenen Ohren zurück ins Meer getrieben, so dass diese selbsternannten Herren aller Küsten gedemütigt und dezimiert zu den Schlangeninseln heimkehren mussten. Der Mechanische König hatte in beiden Fällen gesiegt, ohne Rache zu nehmen.
Vela saß auf dem Bett und drehte die Kurbel am Fußende. Das eingerostete Ding bewegte sich nur langsam und quietschend,erst mit beiden Händen konnte Vela den Hebel eine halbe Drehung vorwärtsbewegen. Das Bettgestell hob sich zitternd in die Höhe. Jedes Jahr schob sie das Bett ein Stück nach oben,
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