Der Kojote wartet
weil wir einigermaßen intelligenzbegabt sind. Aber schließlich ist einer von Ihren eigenen Männern ermordet worden.« Ein leicht sarkastischer Ton hatte sich in ihre Stimme geschlichen. »Sind Sie nicht ein kleines bißchen neugierig, wer ihn wirklich umgebracht hat?«
Leaphorn spürte, wie er rot wurde. Diese arrogante Weiße erwartete doch nicht etwa, daß er ihre Frage beantwortete? Nicht in Gegenwart der Nichte des Täters.
Aber die Professorin wartete auf eine Antwort. Sollte sie doch warten! Leaphorn wartete selbst. Schließlich sagte er: »Fahren Sie fort.«
»Da Sie nicht zu ermitteln scheinen und sich das FBI damit zufriedengibt, Ashie Pinto einfach vor Gericht zu bringen, ohne den geringsten Versuch zu unternehmen, den wahren Täter zu fassen, können Sie uns hoffentlich wenigstens raten, wen wir engagieren sollen. Einen guten, ehrlichen Mann.«
Leaphorn räusperte sich. Er versuchte, sich diese hochnäsige Lady im eleganten Büro des FBI-Außenstellenleiters in Albuquerque vorzustellen. Dort war es bestimmt ausgesucht höflich und manierlich zugegangen.
»Ganz recht«, sagte er. »Darüber haben wir vorhin gesprochen. Aber um Sie beraten zu können, muß ich einiges wissen. Was haben Sie diesem Privatdetektiv zu erzählen? Womit können Sie seine Nachforschungen unterstützen? Soll er Spuren im Reservat verfolgen - in der Umgebung von Hosteen Pintos Wohnung? Oder bei Shiprock und Red Rock, wo... wo es passiert ist? Mit anderen Worten: Was wissen Sie, das nützlich sein könnte? Was wissen Sie, was den Verdacht gegen Hosteen Pinto entkräften könnte? Wie wollen Sie einem privaten Ermittler helfen, einen Ansatzpunkt für seine Ermittlungen zu finden?«
Der Lieutenant hielt inne und dachte, daß es vermutlich ein Fehler war, sich in diese Sache hineinziehen zu lassen. Dies war nicht sein Fall, nichts, wofür er zuständig war. Jede Einmischung konnte ihm nur Ärger einbringen, weil die gesamte Navajo Tribal Police den Tod eines Kollegen durch die Verurteilung seines Mörders wettgemacht sehen wollte. Es war ein Fehler, die Tür zu öffnen, vor der er jetzt stand. Am besten erklärte er diesen beiden Frauen einfach, daß er ihnen nicht helfen könne - was zufällig die traurige Wahrheit war. Trotzdem war Mary Keeyani eine Verwandte Emmas. Und im Fall Delbert Nez gab es seines Wissens noch verschiedene Ungereimtheiten und unbeantwortete Fragen.
»Hören Sie«, sagte er, »sollten Sie brauchbare Informationen besitzen - über mögliche Zeugen, über konkrete Beweise, für die sich das FBI nicht interessiert hat -, können Sie nichts Besseres tun, als sie mir anzuvertrauen. Ich werde mich beim FBI persönlich für Sie einsetzen. Wenn Sie also irgend etwas wissen... «
»Wir wissen, daß er es nicht getan hat«, antwortete Bourebonette. Aber ihr Zorn war jetzt verbraucht. Sie brachte ein kleines, schwaches Lächeln zustande. »Wir können Ihnen nur erzählen, weshalb wir wissen, daß er den Polizeibeamten nicht umgebracht haben kann - es geht schlicht und einfach darum, was für ein Mann Ashie Pinto ist. Stets gewesen ist.«
Aber er hat vor langer Zeit einen Mann getötet, dachte Leaphorn. Wenn ich mich recht entsinne, stand in seiner Akte, daß er vor Jahren wegen Totschlags zu einer Haftstrafe verurteilt wurde.
»Sind Sie eine Verwandte?« fragte er Bourebonette. »Eine Freundin«, antwortete die Professorin.
Leaphorn betrachtete sie über seine Lesebrille hinweg und wartete auf eine erschöpfende Antwort.
»Seit einem Vierteljahrhundert«, fügte sie hinzu. »Mindestens.«
»Ah«, sagte der Lieutenant.
Professor Bourebonette sah ungeduldig drein, als halte sie weitere Erläuterungen für ziemliche Zeitverschwendung. Aber dann ließ sie sich doch dazu herab.
»Mein Spezialgebiet ist die vergleichende Mythologie. Die Entwicklung von Mythen innerhalb einzelner Kulturen. Und der Wandel von Mythen, wenn Kulturen aufeinandertreffen und sich miteinander vermengen. Die Interaktion zwischen der Mythologie einer Gesellschaft und ihren wirtschaftlichen Grundlagen. Die Einflüsse von Umweltbedingungen... Mr. Pinto ist einer meiner Informanten gewesen. Seit vielen Jahren.« Sie machte eine Pause.
Leaphorn sah zu ihr hinüber. War sie fertig? Nein, sie erinnerte sich nur an vergangene Zeiten.
»Er wäre außerstande gewesen, einen Menschen zu töten«, fügte sie hinzu. »Er hat einen wundervollen Sinn für Humor. Und ein großartiges Gedächtnis für lustige Dinge. Überhaupt ein ausgezeichnetes
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