Wallander 06 - Die fünfte Frau
|9| Prolog
In der Nacht, als sie gekommen waren, um ihren heiligen Auftrag durchzuführen, war alles sehr still.
Farid, der jüngste der vier Männer, dachte später, daß nicht einmal die Hunde angeschlagen hatten. Sie waren von der lauen Nacht umschlossen, und der Wind, der in schwachen Stößen aus der Wüste heranwehte, war kaum spürbar. Sie hatten seit dem Einbruch der Dunkelheit gewartet. Der Wagen, der sie den weiten Weg von Algier und ihrem Treffpunkt bei Dar Aziza hergebracht hatte, war alt und schlecht gefedert. Zweimal hatten sie die Fahrt unterbrechen müssen. Das erstemal, um eine Reifenpanne am linken Hinterrad zu beheben. Da hatten sie noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter sich. Farid, der noch nie aus der Hauptstadt herausgekommen war, hatte im Schatten eines Steinblocks am Straßenrand gesessen und mit Verwunderung den dramatischen Wechsel der Landschaft beobachtet. Der Reifen, dessen Gummibelag rissig und stark abgefahren war, ging ein Stück nördlich von Bou Saada kaputt. Es dauerte lange, bis die rostigen Muttern gelöst waren und das neue Rad montiert werden konnte. Farid hatte dem leise geführten Gespräch der anderen entnommen, daß sie sich verspäten würden und deshalb keine Zeit hatten, anzuhalten und zu essen. Dann war die Fahrt weitergegangen. Kurz vor El Oued war der Motor stehengeblieben. Erst nach über einer Stunde gelang es ihnen, den Fehler zu finden und notdürftig zu beheben. Ihr Anführer, ein bleicher Mann in den Dreißigern mit einem dunklen Bart und so brennenden Augen, wie sie nur jene haben konnten, die unter dem Ruf des Propheten lebten, trieb den Fahrer, der schwitzend über den heißen Motor gebeugt stand, mit wütendem Zischen an. Farid kannte seinen Namen nicht. Aus Sicherheitsgründen hatte man ihm nicht gesagt, wer er war und woher er kam.
|10| Er wußte auch nicht, wie die beiden anderen Männer hießen.
Er kannte nur seinen eigenen Namen.
Dann waren sie weitergefahren, die Dunkelheit war schon über ihnen, und sie hatten nur Wasser zu trinken, nichts zu essen. Als sie endlich in El Oued ankamen, war die Nacht also schon sehr still gewesen. Sie hatten irgendwo tief im Straßenlabyrinth in der Nähe eines Marktes angehalten. Als sie ausgestiegen waren, verschwand der Wagen sogleich. Irgendwo aus den Schatten hatte sich ein fünfter Mann gelöst und sie weitergelotst.
Erst da, als sie im Dunkeln durch unbekannte Straßen hasteten, hatte Farid ernsthaft an das zu denken begonnen, was bald geschehen würde. Mit der Hand fühlte er die leicht gekrümmte Schneide des Messers, das er in einer Scheide tief in einer Tasche des Kaftans trug.
Sein Bruder Rachid Ben Mehidi hatte zuerst mit ihm über die Ausländer gesprochen. An den lauen Abenden hatten sie auf dem Dach des väterlichen Hauses gesessen und über die funkelnden Lichter Algiers geblickt. Farid wußte schon, daß sein Bruder sich tief engagiert hatte in dem Kampf für die Verwandlung ihres Landes in einen islamischen Staat, der keinen anderen Gesetzen folgte als denen, die der Prophet vorgegeben hatte. Nun sprach er jeden Abend mit Farid darüber, wie wichtig es war, die Ausländer aus dem Land zu vertreiben. Zunächst fühlte Farid sich geschmeichelt, daß sein Bruder sich die Zeit nahm, mit ihm über Politik zu diskutieren, auch wenn er anfangs nicht alles verstand. Erst später erkannte er, daß Rachid ganz andere Gründe hatte, ihm so viel Zeit zu widmen. Er wollte, daß Farid selbst dazu beitrug, die Fremden aus dem Land zu vertreiben.
Das war vor mehr als einem Jahr. Und jetzt, als Farid den anderen schwarzgekleideten Männern durch die dunklen, engen Straßen folgte, in denen die warme Nachtluft stillzustehen schien, war er auf dem Weg, Rachids Wunsch zu erfüllen. Die Ausländer sollten vertrieben werden. Aber sie sollten nicht zu den Häfen oder Flugplätzen eskortiert, sondern getötet werden. Diejenigen, die noch nicht ins Land gekommen waren, würden es dann vorziehen, zu bleiben, wo sie waren.
Dein Auftrag ist heilig
, hatte Rachid ständig wiederholt.
Der
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Prophet wird zufrieden sein. Deine Zukunft wird leuchten, wenn wir dieses Land so verwandelt haben, wie er es wünscht.
Farid befühlte das Messer in der Tasche. Er hatte es am Abend zuvor von Rachid bekommen, als sie auf dem Dach voneinander Abschied nahmen. Es hatte einen schönen Elfenbeinschaft.
Sie hielten ein, als sie an den Rand der Stadt kamen. Die Straßen liefen auf einen Marktplatz zu. Der Sternenhimmel war
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