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Der kommende Aufstand

Der kommende Aufstand

Titel: Der kommende Aufstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unsichtbares Komitee
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erkennbar
     sind. Leute, die Selektion und Wettkampf akzeptieren,
     vorausgesetzt, die Chancen sind gleich. Die vom Leben erwarten,
     dass darin jeder wie in einem Wettbewerb gemäß seinem Verdienst
     belohnt wird. Die immer um Erlaubnis bitten, bevor sie
     zugreifen. Die stumm die Kultur, die Vorschriften und die
     Klassenbesten respektieren. Selbst ihre Anhänglichkeit an ihre
     großen kritischen Intellektuellen und ihre Ablehnung des
     Kapitalismus sind geprägt von dieser Liebe zur Schule. Diese
     staatliche Konstruktion der Subjektivitäten ist es, die mit dem
     Niedergang der schulischen Institution jeden Tag ein bisschen
     mehr zusammenbricht. Das Wiederauftauchen – seit zwanzig Jahren
     – der Schule und der Kultur der Straße in Konkurrenz zur Schule
     der Republik und ihrer Pappkultur ist das tiefste Trauma, das
     der französische Universalismus gegenwärtig erleidet. In diesem
     Punkt versöhnt sich die extremste Rechte im Voraus mit der
     schärfsten Linken. Allein der Name des Pädagogen Jules Ferry,
     Minister unter Thiers während der Vernichtung der Pariser
     Kommune und Theoretiker der Kolonialisierung, müsste doch
     ausreichen, uns diese Institution verdächtig zu machen.
    Was uns betrifft, wenn wir in den Fernsehnachrichten Lehrer
     aus wer weiß was für einem »Bürger-Wachsamkeitskomitee«
     rumjammern sehen, dass man ihnen ihre Schule verbrannt
     hat, erinnern wir uns, wie oft wir davon geträumt haben, als wir
     Kinder waren. Wenn wir einen linken
     Intellektuellenüber die Barbarei der
     jugendlichen Banden aufstoßen hören, weil sie die Passanten auf
     der Straße anmachen, Ladendiebstahl begehen, Autos anzünden und
     mit den CRS 7 Katz und
     Maus spielen, erinnern wir uns, was man in den sechziger Jahren
     über die Rocker sagte oder noch besser über die Apachen in der
     »Belle Epoque«: »Seit einigen Jahren ist es Mode,« – schreibt
     1907 ein Richter vom Tribunal de la Seine – »unter dem
     Gattungsnamen Apachen alle gefährlichen Individuen, rückfälliges
     Gesindel, Feinde der Gesellschaft, Vaterlandslose ohne Familie,
     Deserteure aus allen Pflichten zu bezeichnen, die bereit sind zu
     den kühnsten Handstreichen, zu jedem Attentat auf Personen oder
     Besitztümer.« Diese Banden, die vor der Arbeit flüchten, den
     Namen ihres Viertels annehmen und gegen die Polizei Widerstand
     leisten, sind der Albtraum des, auf französische Weise
     individualisierten, guten Staatsbürgers: Sie verkörpern all das,
     worauf er verzichtet hat, die ganze Freude, die möglich ist und
     die er nie erreichen wird. Es liegt einige Unverschämtheit
     darin, in einem Land zu existieren, in dem ein Kind, das
     man dabei erwischt, aus freien Stücken zu singen, zwangsläufig
     angeschnauzt wird mit »Hör auf, es regnet sonst!«, in dem die
     schulische Kastration Generationen von disziplinierten
     Angestellten fertigungssynchron ausstößt. Die fortbestehende
     Aura des Gangsters Mesrine ist weniger auf seine Aufrichtigkeit
     und seine Kühnheit zurückzuführen als auf die Tatsache, dass er
     sich an dem gerächt hat, woran wir uns alle rächen müssten. Oder
     eher woran wir uns alle direkt rächen müssten, da, wo wir
     weiterhin ausweichen, es aufschieben. Denn es besteht kein
     Zweifel, dass der Franzose nicht aufhören wird, sich mit tausend
     unbemerkten Niederträchtigkeiten, mit kleiner eisiger
     Boshaftigkeit undgiftiger Höflichkeit,
     permanent und gegen alles, für das Er-
     drückt-Werden zu rächen, in das er sich gefügt hat. Es wurde
     Zeit, dass das Fick die Polizei! das Ja, Herr
     Wachtmeister! ablöst. In diesem Sinne, auf eine weniger
     gedämpfte Art und Weise, drückt die undifferenzierte
     Feindseligkeit einiger Banden nur die schlechte Stimmung, die
     schlechte Grundhaltung, die Lust auf rettende Zerstörung aus, in
     der dieses Land sich verzehrt.
     
    Das Volk von Fremden, in dessen Mitte wir
     leben, »Gesellschaft« zu nennen, ist eine solche Anmaßung, dass
     selbst die Soziologen erwägen, ein Konzept aufzugeben, das ein
     Jahrhundert lang ihr Broterwerb war. Sie bevorzugen jetzt die
     Metapher des Netzes, um die Art zu beschreiben, wie sich
     die kybernetischen Einsamkeiten verbinden, wie sich die
     schwachen Interaktionen verknüpfen, die unter den Namen
     »Kollege«, »Kontakt«, »Kumpel«, »Beziehung« oder »Abenteuer«
     bekannt sind. Es kommt dennoch vor, dass diese Netze sich zu
     einem Milieu verdichten, wo man nichts teilt als Codes
     und wo sich

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