Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kommende Aufstand

Der kommende Aufstand

Titel: Der kommende Aufstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unsichtbares Komitee
Vom Netzwerk:
nichts abspielt außer der unaufhörlichen
     Wiederzusammensetzung einer Identität.
     
    Es wäre Zeitverschwendung, einzeln
     aufzuführen, was alles in den bestehenden sozialen Beziehungen
     im Sterben liegt. Man sagt, dass die Familie wiederkommt, dass
     die Paarbeziehung wiederkommt. Aber die Familie, die
     wiederkommt, ist nicht diejenige, die weggegangen war. Ihre
     Rückkehr ist nur eine Vertiefung der herrschenden Trennung, über
     die hinwegzutäuschen sie hilft, wodurch sie selber zu einer
     Täuschung wird. Jeder kann die Mengen an Traurigkeit bezeugen,
     die die Familienfeste Jahr für Jahr kondensieren, diese mühsamen
     Erinnerungen, diese Verlegenheit, weil man sieht, wie alle
     vergeblich simulieren; dieses Gefühl, dass da,auf dem Tisch, ein Kadaver liegt, und dass alle
     so tun, als ob nichts wäre. Vom Flirt zur Scheidung, vom
     Konkubinat zum Patchwork, jeder fühlt die Vergeblichkeit des
     traurigen Familienkerns, aber die meisten scheinen der Meinung
     zu sein, dass es noch trauriger wäre, darauf zu verzichten. Die
     Familie, das ist nicht mehr so sehr das Ersticken an
     mütterlichem Einfluss oder das Patriarchat der Schläge in die
     Fresse, sondern die infantile Hingabe an eine flaumige
     Abhängigkeit, wo alles bekannt ist, dieser Moment von
     Sorglosigkeit angesichts einer Welt, von der niemand mehr
     bestreiten kann, dass sie zusammenbricht, einer Welt, in der
     »autonom werden« ein Euphemismus ist für »einen Chef gefunden
     haben und Miete bezahlen«. In der biologischen
     Familienzugehörigkeit würde man gerne die Ausrede finden, um
     jede ein wenig brisante Entschlossenheit in uns zu korrodieren,
     um uns dazu zu bringen, dass wir – unter dem Vorwand, man habe
     uns aufwachsen sehen –, auf jedes Erwachsen-Werden wie auf den
     Ernst der Kindheit verzichten. Vor dieser Korrosion muss man
     sich schützen.
    Das Paar ist wie die letzte Stufe des großen
     gesellschaftlichen Fiaskos. Es ist die Oase in der Mitte der
     menschlichen Wüste. Man kommt dorthin, weil man unter dem
     Vorzeichen des »Intimen« alles sucht, was so offensichtlich die
     zeitgenössischen sozialen Beziehungen verlassen hat: Wärme,
     Einfachheit, Wahrheit, ein Leben ohne Theater und
     Zuschauer. Aber wenn das verliebte Schwindelgefühl vergangen
     ist, lässt die »Intimität« ihre alte Kutte fallen: Sie ist
     selber eine gesellschaftliche Erfindung, sie spricht die Sprache
     der Frauenzeitschriften und der Psychologie, sie ist wie der
     Rest mit Strategien gepanzert bis zum Erbrechen. Es gibt dort
     nicht mehr Wahrheit als anderswo, auch dort herrschen die Lüge
     und die Gesetze der Fremdheit. Und wenn man dort mit Glück diese
     Wahrheit findet, macht sie ein Teilen
     erforderlich,das die Form des Paares selbst
     widerlegt. Das, wodurch Wesen sich lieben, ist genauso gut das,
     was sie liebenswert macht, und ruiniert die Utopie des Autismus
     zu zweit.
    In Wirklichkeit ist der Zerfall aller sozialen Formen eine
     einmalige Gelegenheit. Er ist für uns die ideale Voraussetzung
     für ein wildes massenhaftes Experimentieren mit neuen
     Zusammenstellungen, neuen Formen der Treue. Der berühmte
     »Rückzug von den elterlichen Pflichten« erfordert von uns eine
     Konfrontation mit der Welt, die in uns eine frühreife Klarsicht
     erzwungen hat und einige schöne Revolten verkündet. Im Tod des
     Paares sehen wir aufregende Formen kollektiver Affektivität
     entstehen, jetzt, wo Sex völlig abgenutzt ist, wo Männlichkeit
     und Weiblichkeit alte, mottenzerfressene Kostüme anhaben, wo
     drei Jahrzehnte stetiger pornografischer Innovationen jeglichen
     Reiz der Übertretung und der Befreiung erschöpft haben. Was es
     an Bedingungslosem in den Verwandtschaftsverhältnissen gibt,
     beabsichtigen wir durchaus zum Gerüst einer politischen
     Solidarität zu machen, die für staatliche Einmischung ebenso
     undurchdringlich ist wie ein Zigeunerlager. Es gibt nichts – bis
     hin zu den nicht enden wollenden Subventionen, die viele Eltern
     gezwungen sind ihrer proletarisierten Nachkommenschaft zu zahlen
     –, was nicht eine Art von Mäzenatentum zugunsten der sozialen
     Subversion werden könnte. »Autonom werden« könnte genauso gut
     bedeuten: lernen, auf der Straße zu kämpfen, sich leere Häuser
     anzueignen, nicht zu arbeiten, sich wahnsinnig zu lieben und in
     den Geschäften zu klauen.
    7 Republikanische Sicherheitskompanie, A.d.Ü.

Dritter Kreis »Das Leben, die
     Gesundheit, die Liebe sind prekär,

Weitere Kostenlose Bücher