Der Kommissar und das Schweigen - Roman
und
die Kinderschar, die am Ufer spielte und lärmte. Ferienlager, dachte er stattdessen. In der ganzen Region wimmelt es natürlich davon ... einen Moment lang begannen sich ein paar andere Erinnerungen zu regen, aus seiner eigenen Kindheit, aber es gelang ihm, auch diesen den Hals umzudrehen.
»Aber du warst nicht da und hast mal reingeschaut?«, fragte er. »Wenn du sowieso schon vorbeigefahren bist, meine ich?«
»Nein«, sagte Kluuge, »das habe ich nicht gemacht.«
»Warum nicht?«
»Ich wollte lieber auf den Hauptkommissar warten. Ich hatte ja schon dort angerufen, und sie hatten mir gesagt, dass nichts vorgefallen wäre.«
Ausgezeichnet, dachte Van Veeteren. Fantastische Tatkraft.
»Ich verstehe«, sagte er. »Vielleicht ist es dann das Beste, wenn wir rausfahren und mal nachsehen. In der Höhle des Löwen und vielleicht noch dem einen oder anderen Loch.«
Kluuge nickte begeistert. Richtete sich auf und machte Anstalten, sofort loszupreschen.
»Immer langsam mit den jungen Pferden«, sagte der Hauptkommissar. »Alles zu seiner Zeit. Jetzt wollen wir doch erst mal sehen, ob wir hier nicht auch noch einen anständigen Nachtisch kriegen.«
»Und hast du sonst viel zu tun?«, fragte der Hauptkommissar, als sie ins aprikotfarbene Zimmer des Polizeichefs zurückgekehrt waren. (Aprikot? überlegte Van Veeteren. Ich fress einen Besen, wenn er das selbst gestrichen hat!)
»Nun ja«, sagte Kluuge. »Da sind ja so diverse Berichte und so.«
Van Veeteren warf einen Zahnstocher hinter den Heizkörper.
»Ich würde jedenfalls vorschlagen, dass du versuchst, ein bisschen mehr über diese Sekte herauszukriegen. Ruf mal die Polizei in Stamberg an und frag da nach, das ist das Einfachste. Ich werde Waldingen selbst übernehmen, wenn du nichts
dagegen hast. Hast du die Nummer, dann kann ich vorher anrufen?«
Kluuge schrieb sie ihm auf.
»Ich glaube, ich werde mich über Nacht im Ort einquartieren. Dann können wir der Sache auf den Grund gehen. Kannst du etwas empfehlen?«
Kluuge überlegte.
»Das Stadthotel oder Grimm’s«, sagte er. »Das Stadthotel ist sicher ein bisschen besser, aber das Grimm’s liegt direkt am See. Hundert Meter hinterm Florian’s ungefähr, da, wo wir gegessen haben. Vielleicht nicht ganz die gleiche Klasse, aber...«
»Grimm’s klingt gut«, entschied der Hauptkommissar und stand auf. »Ruf mich an, wenn es was gibt, ansonsten sehen wir uns morgen Vormittag.«
Kluuge stand auch auf und schüttelte ihm die Hand.
»Danke«, sagte er. »Ich bin froh, dass der Hauptkommissar das hier übernimmt.«
»Keine Ursache«, sagte Van Veeteren und überließ den Polizeianwärter Kluuge seinem Schicksal.
Das Zimmer war eine ziemlich missglückte Mischung aus Alt und Neu, aber dafür gab es eine geräumige Badewanne und einen Balkon mit Blick auf den See und die Häuser, die sich auf der anderen Seite bis zum Waldrand den Hügel empor erstreckten. Van Veeteren nahm das Zimmer in Beschlag, stellte seine Tasche in die schiefe Eichengarderobe und rief in Waldingen an.
Nach zehn Freizeichen hatte sich noch immer keiner gemeldet, und er legte den Hörer auf. Ging dazu über, stattdessen die Karte zu studieren, die er von Kluuge bekommen hatte. Waldingen konnte kaum als Ort bezeichnet werden, wie der Polizeianwärter erklärt hatte, eigentlich war es nur der Name der alten Ferienkolonie – gegründet irgendwann in den Zwanzigern –, aber er war immer noch auf der Karte eingezeichnet. Ein schwarzes kleines Viereck am Ende eines Pfades, der von
einem größeren Weg abging, um zwei kleinere Seen lief und dann wieder auf den gleichen größeren Weg traf.
Dreißig, vierzig Kilometer in den Wäldern ungefähr. Damit wusste er also das. Er faltete die Karte zusammen und wählte wieder die Nummer.
Keine Antwort. Er schaute auf die Uhr. Fünf Minuten nach drei. Draußen über dem See brannte die Sonne. Hier drinnen im Zimmer war zwar Schatten, aber trotzdem sicher bis zu dreißig Grad. Er blieb eine Weile zögernd sitzen und überlegte.
Was sollte er verdammt noch mal tun?
Dann fiel ihm ein, dass er so ein Strandcafé mit buckligen Sonnenschirmen am Seeufer gesehen hatte. Er holte Klimkes Betrachtungen ohne Perspektive aus der Tasche, steckte die Zigaretten ein und verließ das Zimmer.
Zwei dunkle Biere und vier Zigaretten später unternahm er einen erneuten Versuch mit dem Telefon, wiederum vergeblich.
Was, zum Teufel, treiben die da? dachte er. Wenn sie sich schon um eine ganze
Weitere Kostenlose Bücher