Der Kommissar und das Schweigen - Roman
Veeteren und folgte ihm ins Haus. Sie setzten sich einander gegenüber an einen großen, runden Holztisch mit ungefähr zehn einfachen Stühlen. Jellinek setzte sich eine Brille mit geklebten Bügeln auf und schaute den Hauptkommissar an.
»Sie haben fünfzehn Minuten Zeit«, sagte er. »Wir haben um elf Uhr unsere Gebetsstunde.«
Van Veeteren hob eine Augenbraue und ließ sie dort einige Sekunden verharren.
»Es ist so«, erklärte er, »ich komme von der Kriminalpolizei, und ich werde die Zeit brauchen, die mir notwendig zu sein scheint. Aber wenn Sie bereit zur Zusammenarbeit sind, sehe ich keinen Grund, dass es länger als eine Viertelstunde dauern müsste.«
Oscar Jellinek erwiderte nichts.
»Wie würden Sie Ihre Gemeinschaft beschreiben?«
Jellinek nahm die Brille ab und stopfte sie in ein braunes Lederetui.
»Sie haben sicher nicht die Absicht, Mitglied unserer Kirche zu werden, Herr Kommissar. Dürfte ich deshalb vorschlagen, dass wir die Zeit dazu nutzen, über das zu reden, weshalb Sie hergekommen sind?«
»Sie hatten früher schon Erfahrungen mit der Polizei?«
»Leider.«
»Sie erkennen uns als Obrigkeit an?«
»Nur wenn das nicht im Widerspruch zu Gottes Willen steht. Darf ich Sie darum bitten, zur Sache zu kommen.«
Van Veeteren zuckte mit den Schultern.
»Sie wissen doch, um was es geht. Wir haben Informationen erhalten, dass aus Ihrem Lager ein Mädchen verschwunden ist. Ich möchte die Sache nur überprüfen.«
»Von hier ist niemand verschwunden.«
»Wie viele Teilnehmer haben Sie?«
»Zwölf.«
»Ausschließlich Mädchen?«
»Wir halten nichts von unkontrolliertem Kontakt zwischen den Geschlechtern in jungen Jahren.«
»Das habe ich verstanden«, sagte Van Veeteren. »Sie haben also ein Dutzend Mädchen hier. Wie alt sind sie, und was ist der Zweck ihres Aufenthalts?«
Jellinek faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch.
»Zwischen zwölf und vierzehn«, erklärte er. »Der Zweck ist es, sie auf die Aufnahme im Reinen Leben vorzubereiten.«
»Also eine Art Konfirmation?«
»Wenn Sie so wollen.«
»Wie lange bleiben sie hier?«
»Sieben Wochen.«
»Aber Sie haben das Gelände für den ganzen Sommer gemietet?«
»Ja. Wir veranstalten im August noch zwei Andachtswochen für Erwachsene. Unsere Mädchen haben jetzt ungefähr die halb Zeit rum.«
»Zwölf Stück?«
»Ja, zwölf.«
»Was treiben Sie so?«
»Gebet, Entsagung, Reinheit. Das sind die Grundpfeiler, aber ich fürchte, Sie sind an dieser Art Geistigkeit nicht besonders interessiert, Herr Hauptkommissar.«
Sag das nicht, dachte Van Veeteren. Die Frage ist ja wohl eher, was das verdammt noch mal bedeutet und ob ein normal beschaffener dreizehnjähriger Mensch sich für so etwas interessiert.
»Wie viele Erwachsene?«
»Vier. Ich selbst und drei Mitarbeiterinnen, die bei der praktischen Arbeit helfen.«
»Nur Frauen?«
»Ja.«
Van Veeteren dachte nach. »Können Sie mir eine Liste der Mädchen geben, die Sie hier haben?«
Jellinek schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Das ist nicht in unserem Interesse. Weder in dem der Mädchen noch in dem ihrer Eltern.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wir haben so unsere Erfahrungen mit der Polizei. Wie Sie ja selbst schon andeuteten.«
»Ihnen ist sicher klar, dass ich Sie zwingen kann?«
Jellinek verzog keine Miene, machte nur eine kleine Pause, während er seine gekreuzten Daumen betrachtete.
»Natürlich. Aber ich werde Ihnen die Namen erst geben, wenn Sie Gewalt anwenden.«
»Sie verstoßen gegen das Gesetz.«
»Es gibt mehr als ein Gesetz, Herr Hauptkommissar.«
»Quatsch.«
Van Veeteren lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und suchte in seiner Brusttasche nach einem Zahnstocher. Er fand einen und hielt ihn eine Sekunde lang prüfend ins Licht, bevor er ihn zwischen die Schneidezähne im Unterkiefer schob. Jellinek beobachtete seine Handlungen mit offensichtlicher Skepsis.
»Sie meinen also, dass ich mich mit Ihrem Wort begnügen soll?«
Etwas Gelbes blitzte im Barte des Propheten auf. Es konnte sich um ein Lächeln handeln.
»Ja, das meine ich.«
»Ich möchte gern mit den Mädchen sprechen. Genauer gesagt, mit einigen.«
Jellinek streckte einen abweisenden Finger in die Luft und schüttelte den Kopf.
»Wir lassen sie nicht außerhalb des Geländes gehen. Es ist wichtig, dass sie in diesem Zeitraum in Frieden gelassen werden.«
Van Veeteren zog seinen Zahnstocher heraus.
»Sie meinen, Sie halten sie hier sieben Wochen lang vollkommen
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