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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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789). 96
Minuten. Weber: Balso DuPree. Blutrünstiges Melodram
über Gorath, einen wahnsinnigen Diktator, der in seiner
Freizeit Foltergeräte erfindet. Nichts für Kinder. Auch
nichts für Erwachsene.
     
    »Dann wünsche ich Ihnen schöne Träume, Mr.
Longslapper«, sagte der Baron.
    Meine Träume in jener Nacht waren alles andere als
schön. Ich träumte von dem lauernden Lügner, der in
einer Sackgasse stand und mir erklärte, daß ich keine
Aussicht hätte, die Lotoskapsel zu ergründen.
    Aber wenigstens fand ich etwas Schlaf.

 
15

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Geschichte
als Frucht

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    Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, daß ein Mensch, der
Tiere liebt, nicht ganz schlecht sein kann, besonders wenn die
fraglichen Tiere selbst nicht sonderlich sympathisch sind. Nach den
Tieren zu urteilen, mit denen Simon Kusk sich umgab, mußte er
in der Tat ein sehr guter Mensch sein.
    Nachdem Prill Urilla, Lilit und mich in den zweiundvierzigsten
Stock der Kharsog-Festung begleitet hatte, führte er uns in ein
privates Arbeitszimmer, das gleichzeitig eine Art Zoo war. Obwohl
zwei Wände auf konventionelle Weise mit Eichenvertäfelungen
und Bücherreihen ausgestattet waren, enthielten die anderen
gläserne Habitate mit Wirbeltieren von urtümlicher
Häßlichkeit. Es gab mehr als hundert verschiedene
Exemplare. Als erstes fiel mir ein gedrungenes Geschöpf mit
tonnenförmigem Bauch auf, das mich an die Kröte der Nacht
erinnerte. Gleich darauf erspähte ich eine
Schnappschildkröte mit einem Totenkopf auf der Schale, einen Aal
mit Zähnen, die sich in nichts von Nähnadeln unterschieden,
und eine Ratte, deren Leib von einem Mosaik aus braunem Pelz und
nackter, rosaroter Haut bedeckt war. Die Wirbeltiere waren in einer
starren Hierarchie angeordnet – ganz oben die Säugetiere,
darunter die Reptilien, unter diesen die Amphibien und ganz unten die
Fische –, so daß der Gesamteindruck an eine erstaunliche
Ausgrabung erinnerte, bei der man ein Fossil aus jeder Epoche, in
seiner jeweiligen evolutionären Nische gefunden hatte.
    Nachdem Prill uns darauf aufmerksam gemacht hatte, daß wir
nicht mit einer langen Audienz bei seinem Herrn rechnen sollten, der
›sich Tag und Nacht abrackerte, um der Welt vergessene Weisheit
und inneren Frieden zu bringen‹, verschwand er in einem Alkoven
mit einem hohen Glaszylinder. Der geierartige Spatz im Zylinder
flatterte in nervösen kleinen Spiralen zwischen dem Boden und
der Decke hin und her.
    »Goth der Herr ist in der Nähe«, sagte Lilit.
»Sie kann ihn spüren.«
    Eine korrekte Prophezeiung. Nur ein paar Sekunden später war
Kusk bei uns.
    »Guten Morgen, Mr. Longslapper – und Familie.«
    Ich erkannte seine dünne, hauchige Stimme von unserem
Vidiphongespräch am vergangenen Abend wieder.
    Er war ein endomorpher Mann, kleiner und stämmiger, als ich
erwartet hatte. Auf seinem glänzenden Fiberfoliengewand waren
zwei Möbiusbänder zu sehen, eins auf jeder Seite der Brust.
Das Licht der Aquarien spiegelte sich in seinem nackten Gesicht und
den violetten Augen. Seine Haut sah aus, als ob sie
wasserlöslich wäre.
    Ich hätte auf Lilits Benehmen Kusk gegenüber vorbereitet
sein sollen. Ich hätte nicht nur die Sakramente der
Lotosschlucker, sondern auch meine eigene Reaktion auf das Erscheinen
von Kusks Gesicht im Transceiver-Spiegel als Vorwarnungen begreifen
sollen. Die wiederholten Fußfälle, das Stöhnen, das
an sexuelle Höhepunkte erinnerte, die Küsse, die sie auf
das Gewand ihres Erlösers pflanzte, bis ich Speichelflecken
sehen konnte – keine dieser Beobachtungen hätte mich
überraschen sollen. Aber damals war die göttliche
Erscheinung ein mir unbekanntes Phänomen, und ich war sprachlos.
Sprachlos, ängstlich und auf seltsame Weise peinlich
berührt. Talas und ich hatten Lilit in einer Atmosphäre von
Skeptizismus und Zurückhaltung großgezogen. Wir hatten ihr
beigebracht, daß Zweifel heilig waren. Und hier lag sie nun vor
uns, eine abtrünnige Atheistin, die vor Gläubigkeit
bebte.
    »Goth, mein Herr und Gebieter«, stieß sie keuchend
hervor, »ich habe gesündigt, ich bin schlecht« –
es war ein vager Trost, Lilit zur Abwechslung in der ersten Person
sprechen zu hören, aber mir war klar, daß ich darin kein
Signal für eine Besserung ihres Zustands sehen durfte –,
»ich bin verworfen, ich bin lasterhaft, ich bin wertlos, ich bin
schmutzig, ich bin die Mätresse des Teufels.«
    »Geh zu deiner Mutter«, sagte Kusk, während er die
flach auf dem Boden liegende Gläubige

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