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Der Kontinent der Lügen

Der Kontinent der Lügen

Titel: Der Kontinent der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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wobei er seinen Blick
auf Jonnie richtete.
    Da ich Basil nicht als Gepäckstück betrachtete,
beschloß ich, seinen Tragekorb auf dem Bahnsteig
stehenzulassen. Ansonsten befolgten wir den Befehl umfassend und
schnell. Der Zentaur gehörte nicht zu der Sorte Technologie,
deren Autorität man in Zweifel zog.
    Er rollte zu den Knochenjongleuren hinüber, zerquetschte ihre
Fahrkarten und sammelte ihr Gepäck ein. Dann fuhr er zu einer
entfernten Wand und hielt bei einem Brunnen an, wo Goldmünzen
aus dem Maul eines Frosches sprudelten.
    »Hier gefällt es ihr nicht«, sagte Lilit. »Morla kyrik eschika«, setzte sie hinzu.
    »Hier gibt es einen Mann, der dir helfen kann«,
erwiderte ich.
    »Sie will keine Hilfe.«
    Der schwarze Zug hinter uns begann zu vibrieren, als seine
Siliziumintelligenz erwachte. Er verlagerte sein Denkvermögen
vom Kopfende ans Schwanzende und raste in die Richtung davon, aus der
er gekommen war.
    Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Südwand. Dort
erschien eine ältere Person undefinierbaren Geschlechts in einem
dreieckigen Portal. Ich kam zu dem Schluß, daß es sich um
einen männlichen Diener handelte. Sein Gesicht erinnerte an den
runzligen, aber würdevollen Geisterbeschwörer im Schwefelschloß. Wie der Fahrkartenverkäufer hatte
er ein Möbiusband auf seinem Kittel. Das weite Gewand wurde von
einem Gürtel gehalten, der sonderbarerweise über hundert
Computertasten enthielt. Ein Möbiusband aus Messing diente als
Schnalle.
    Ohne auch nur einen Blick in unsere Richtung zu werfen, hinkte der
Diener zu Torin. Die beiden unterhielten sich eine Weile in leisem
Ton.
    Endlich geruhte der Diener auch unsere Anwesenheit zur Kenntnis zu
nehmen. Er kam zu uns herüber und erzählte mir, sein Name
sei Prill, und meiner müsse Flick Longslapper sein. Wieder
Lügen: Ich stellte Urilla als meine Frau und Jonnie als meinen
Sohn vor. Prill erklärte, wir würden unser Gepäck
zurückbekommen, ›sobald es untersucht worden ist‹, und
es werde ›nicht nötig sein, die Katze zu
sezieren‹.
    Er führte uns zu dem dreieckigen Portal. Als er über die
Schwelle trat, sah ich genau, daß er nur auf Luft stand. Unter
ihm gähnte ein dunkler Fahrstuhlschacht, der bis zum Mittelpunkt
des Planeten Absu zu führen schien.
    Prill bemerkte meine Überraschung und erklärte mir, sein
Gürtel erzeuge ein Antigravitationsfeld. Wir könnten
gefahrlos eintreten.
    Ich machte die Augen zu, schluckte zweimal, schloß meine
Finger fester um Basils Tragekorb und trat ins Nichts. Das
Antigravitationsfeld schwankte leicht, war jedoch stark. Ich hatte
das Gefühl, auf einem Wasserbett zu stehen. Urilla, Jonnie und
Lilit kamen gleich darauf zu mir.
    Prill drückte auf eine Taste an seinem Gürtel, und der
fliegende Teppich stieg nach oben, eins, zwei, drei, vier… mehr
als zwanzig Stockwerke.
    Dreiundzwanzigster Stock.
    Mein Magen machte wieder Sperenzchen.
    Als wir ausstiegen, standen wir in einem kahlen Vorzimmer. Wir
folgten Prill durch eine Suite von Zimmern mit opulenter Einrichtung
und dicken, plüschigen Teppichen, an die ich seitdem immer
denken muß, wenn ich die Worte Luxus und Klasse höre. Ich kam mir eher wie ein Tourist vor als wie ein Gast
der Kharsog-Festung.
    Sechs Schlafzimmer, alle mit eigenem Bad und einem derart riesigen
Matratzenlager, daß es selbst schon so etwas wie ein Zimmer
war, umschlossen eine kreisrunde Nabe in der Mitte. Ich liebte diese
Nabe. In meinen Gefühlen nahm sie sofort die Stelle von Clee
Seligs Bibliothek ein. Es gab einen Kamin, in dem bereits ein Feuer
brannte – ein Feuer, wie ich noch nie eines gesehen hatte, ein
Feuer, dessen Flammen sich automatisch zu Skulpturen formten: ein
Schmetterling, ein Vogel, ein Widder, ein Tiger und wieder ein
Schmetterling. Es gab ein enormes Gratisangebot von Zephäpfeln;
jeder lag in seinem eigenen Glaswürfel, und die Würfel
waren zu einer Pyramide auf einem Bücherregal aufgestapelt und
mit den Titeln ihrer jeweiligen Träume beschriftet, eine
Sammlung, zu der nicht nur Die Kröte der Nacht gehörte, sondern auch zwei Werke, die ich mein Leben lang
hatte zu mir nehmen wollen, Als er zum letztenmal starb und Die Illusion fliegt mit dem Raumschiff. Es gab einen
Automaten, der alles ausspuckte, von Schoko-Gummibomben bis zu den
absolut illegalen Varianten psychedelischen Schnupftabaks. Und es gab
einen Lesesessel, der sowohl ein Platz zum Sitzen als auch eine
Versuchung war.
    Aber das Kernstück des Zimmers war der Spiegel. Er hing wie
ein

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