Der Kontinent der Lügen
Vokalitapparat. Ich fragte mich, wie lange es dauern würde,
bis sie sich einbildete, von Mr. Quash schwanger zu sein.
Ich antwortete Urilla mit Bedacht genauso leise.
»Offensichtlich, sagst du? Soweit ich mich erinnere, bist du
diejenige, die dachte, daß Baptizer Brown uns offensichtlich direkt zur Hamadryade führen würde.«
Eine häßliche Bemerkung. Zu Urillas Ehre muß ich
sagen, daß sie nicht zurückschlug. Sie ging nur zum
Automaten hinüber, holte sich ein Bündel
nicht-psychoaktiver Trauben und begann sie zu essen. In ihrer
Klugheit verstand sie mein Bedürfnis, diesen ganzen Quatsch
über Lilits inneren Frieden zu glauben. Sie erkannte, daß
Kusk mir im Grund erklärt hatte: Die Sache Hegt nicht mehr in
deinen Händen, du hast keine väterlichen Verpflichtungen
mehr.
Kusk hatte mich vom Haken gelassen.
»Und was meinst du, Jonnie?« flüsterte
ich.
»Ich meine…« Was immer Jonnie hatte sagen wollen,
er schlug mitten im Satz eine andere Richtung ein. »Ich meine,
daß Lilit ein ungewöhnlicher Mensch ist. Eine
Zauberin.« Seine Stimme hätte nicht einmal eine Seifenblase
bewegt. »Nach dem, was du uns erzählt hast«, fuhr er
fort und stellte sich dabei seinen Ängsten, »denke ich
außerdem, daß Kusk herausgefunden hat, wie man Sklaverei
auf Flaschen ziehen und als Erleuchtung verkaufen kann. Ich bin
Urillas Meinung. Wir sollten Lilit so schnell wie möglich von
hier wegbringen.«
Das war nicht das, was ich hören wollte.
Als ich matt ansetzte: »Kusk glaubt, daß Lilit
glücklich ist«, starrten Urilla und Jonnie mich an, als ob
ich genauso verrückt wäre wie meine Tochter. Ich ging in
mein Schlafzimmer und machte die Tür zu.
Ein paar Stunden später geschah etwas, was alle Sympathien
auslöschte, die ich für Goths Kirche gehabt haben
mochte.
Lilit kam herein. Sie kam auf die Matratze zu, auf der ich
apathisch herumlag. Basil – oder das, was von ihm übrig war
– lag in ihren Armen.
Er war ausgenommen worden. Ausgeweidet wie der Ziegenbock im lauernden Lügner. Ich brauchte Lilits nächste Worte
nicht zu hören, um zu wissen, wer das getan hatte.
»Sie tut, was Goth ihr befiehlt«, zischte Lilit.
»Das begreifst du jetzt endlich, nicht wahr? Kyrikusch
makesch morla morla!«
Ein Katzenfell ist etwas ganz anderes als eine Katze.
Lilit legte das blutige, ausgeweidete Ding auf den Boden und ging
hinaus. Ich bin sicher, daß ich sie in diesem Augenblick
haßte.
Und es war kein untätiger Haß. Es war vielmehr ein
Haß, der mich auf die Beine brachte und in Lilits Zimmer laufen
ließ. Ein Haß, der mich dazu trieb, sie beiseite zu
stoßen, ihren Vokalitapparat in kleine Stücke zu
zertrümmern und ihre Rodnie-Quash-Aufnahmen in eine Million
Scherben der Hirnlosigkeit zu zerbrechen.
Stille.
Und dann Lilits Schluchzen, das überallhin drang: Wut, Angst
und Kummer, alles zugleich.
Ich unterdrückte mein eigenes Schluchzen. Ich sah nur ein
Bild vor mir: meine Tochter auf dem Irrenschiff, eingesperrt auf der
Station der Gewalttätigen, wo sie von Talas, Urilla, Jonnie und
mir besucht wurde. Sie erkannte keinen von uns, nicht ein einziges
Mal.
Urilla hatte recht. Die Hamadryade hatte gelogen. Der Schatz des
Baumes war wertlos. Im Lotos-Institut gab es keine Heilung für
Lilit. Statt dessen stellte unser Aufenthalt hier wahrscheinlich die
schlimmstmögliche Behandlung dar, Salzwasser für die
Durstige. Ich mußte sie von hier wegschaffen.
So zappelte ich also wieder am Haken und beobachtete einen
Schatten, der nicht mehr mit meinem Körper verbunden war.
Ich wappnete mich für eine schlaflose Nacht.
Die Geisterstunde kam, Null Uhr null und null Sekunden. Ich
saß im Lesesessel, und Freud leistete mir Gesellschaft.
»Es liegt im Wesen jeder Zensur«, schrieb der Vater der
Psychoanalyse, »daß man von den unerlaubten Dingen das,
was unwahr ist, eher sagen darf als die Wahrheit.«
Die Geschehnisse des vorherigen Abends wiederholten sich. Zuerst
riß mich ein violetter Blick aus der Traumdeutung heraus. Dann sprach Kusk. Die Nahaufnahme war so extrem,
daß seine Augen die ganze Breite des Spiegels einnahmen und
sein Unterkiefer ständig ins Blickfeld und wieder heraus
tanzte.
»Heute abend habe ich eine wichtige Nachricht erhalten«,
sagte die Inkarnation von Goth. »So wichtig, daß sie Ihr
Leben ändern wird. Erwarten Sie Prill morgen nach dem
Frühstück.«
»Werden Ihre Nachrichten auch Lilits Leben
ändern?«
»Was lesen Sie da, Mr. Longslapper?«
Kusk war es natürlich
Weitere Kostenlose Bücher