Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
der konterrevolutionäre Terror gewütet hatte. Von den ersten Erzählungen bis zu diesem Roman erhielt das Ausbruchs- und Aufstandsmotiv immer deutlicher profilierte Konturen: zeitgeschichtliche Stoffe traten in den Mittelpunkt, internationale wie deutsche Schauplätze umfassend. Formal und stilistisch ist die frühe Prosa Anna Seghers’ außerordentlich vielgestaltig: operative Kurzform, sozialpsychologische Studie, klassische Novelle und avantgardistische Romanform, die kühle, klare Sprache der Neuen Sachlichkeit durchsetzt sie mit expressionistischen Bildern, und ihre Gestaltungskraft ist überzeugend sowohl im kühnen Schwung, mit dem sie verwickelte Geschichten auf den Punkt bringt, als auch in der prägnanten Anschaulichkeit ihrer Detailgenauigkeit.
Das Jahr 1933 bedeutete für Anna Seghers wie für andere Gegner oder Verfolgte des Nazi-Regimes einen entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben, aber auch in ihrer Entwicklung als Schriftstellerin. Als Jüdin und Kommunistin doppelt bedroht, emigrierte sie bereits im Frühjahr 1933 mit ihrer Familie nach Frankreich. In den insgesamt fünfzehn Jahren des Exils war Anna Seghers außerordentlich produktiv – eine Produktivität, die um so bemerkenswerterist, wenn man die äußerst schwierigen, bedrohlichen und deprimierenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Emigranten berücksichtigt. Sie schrieb und veröffentlichte nicht nur fünf Romane und zahlreiche Erzählungen, sondern beteiligte sich auch publizistisch am antifaschistischen Kampf. 1933 erschien Der Kopflohn im Amsterdamer Exilverlag Querido, den Fritz Landshoff leitete, ehemals Lektor im Berliner Verlag Kiepenheuer, nun ebenfalls Emigrant. Vermutlich hat Anna Seghers den Roman noch in Deutschland begonnen. Mit ihm beginnt im Exilwerk der Autorin die Reihe der Deutschlandromane, Die Rettung (1937) und Das siebte Kreuz (1942) werden folgen.
Der Kontrast zwischen dem Roman Die Gefährten (1932), den Anna Seghers, den Menschen in allen Ländern [widmete] , die für die Freiheit und ein besseres Leben kämpfen , und dem folgenden, Der Kopflohn. Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932 (1933), könnte auf den ersten Blick nicht größer sein. In Die Gefährten hatte die junge Schriftstellerin, erregt und tief berührt von den Erzählungen kommunistischer Emigranten aus Südosteuropa (darunter ihr späterer Mann) und aus China, die sie während ihrer Heidelberger Studienjahre kennengelernt hatte, vom Kampf und der Niederlage der revolutionären Avantgarde mit den Mitteln modernster Schreibweisen berichtet. Mit dem Anwachsen des faschistischen Potentials und schließlich der Installierung des nationalsozialistischen Regimes in ihrem eigenen Land wandte sich Anna Seghers einem nationalen Stoff zu: Im Kopflohn interessierte sie nicht mehr die politische Avantgarde, sondern die Frage, wieso die Nationalsozialisten sich im bäuerlichen Lebensumfeld so nachhaltig verankern konnten. Nicht zuletzt schuf sie damit – wie übrigens auch Adam Scharrer mit seinem 1933 im Prager Exil erschienen Roman Maulwürfe. Ein deutscher Bauernroman – ein kritisches Gegenstück zum völkischen Bauernroman.
In ihrem Roman bildete Anna Seghers ein Verfahren aus, auf das sie in ihrer antifaschistischen Prosa immer wieder zurückkam: den Wert und die Überlegenheit des linken Humanismus, repräsentiert in den Kommunisten, nicht inhaltlich-argumentativ darzustellen, sondern anhand der Größe der Opfer. Auch die religiösen Symbole und jüdisch-christlichen Motive sind in diesem ersten Roman in sinnstiftender Weise ausgeprägt: die verfolgten und ermordeten Kommunisten erinnern an die frühen christlichen Märtyrer, sie sind Gefährten im Sinn einer säkularisierten Nächstenliebe, die nun Solidarität heißt. Der Kopflohn läßt an den Judaslohn denken, und das Siebte Kreuz , das leer bleibt, ist das Symbol für eine Passionsgeschichte, die nicht in den Tod, sondern in die Freiheit führt. Der Einsatz religiöser Symbole und Motive hat bei Seghers in erster Linie wirkungsstrategische Gründe; die leichte Erkennbarkeit, der Assoziationsreichtum, die Wertgebundenheit und die Traditionsrelevanz prädestinieren sie dafür, in die Hohlräume der Gefühle (Seghers) einzudringen und dort Resistenzen gegen die faschistische Barbarei zu bilden. In diesem Sinne ist der Titel Kopflohn , ist die Identifikation des zusammengeschlagenen Johann Schulz mit einem Toten oder Täufling, dem mit Respekt und nicht mit Verachtung zu begegnen ist,
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