Der Kopflohn - Roman aus einem deutschen Dorf im Spätsommer 1932
glänzend. Ohne den Kopf zu drehen, betrachtete Bastian aus den Augenwinkeln diesen Hunger. Der war anders als der seine, nackter, reißender. Als der Gast mit dem Brot fertig war, sah er bestürzt in die leere, offene Hand. Dann packte er den Löffel.
Ohne sich viel zu kümmern, was am anderen Ende des Tisches vorging, versuchte die Frau, das ziemlich große Kind, das sich auf ihrem Knie krümmte und sträubte, an die Brust zu bringen.
Als das Essen fertig war, sagte Bastian: »Johann – soheißen Sie doch – ja? Ihr werdet wohl jetzt nach Botzenbach fortmachen, vor Nacht?«
Schulz antwortete: »Ja, da muß ich wohl jetzt los.«
Sie sahen einander an. Auf einmal fiel dem Jungen der Kopf auf die Brust. Er stellte ihn wieder hoch, aber er fiel wieder, und er stellte ihn wieder hoch.
Bastian wunderte sich. Er hatte immer geglaubt, nur die Alten seien erschöpft. Er konnte sich aus jungen Jahren an keine Erschöpfung erinnern, wie er sie heute verstand: eine Faust von oben, die seinen Körper auspreßte. Oder zwei Fäuste, die ihn auswrangen. Er begriff nicht, wodurch etwas Junges so erschöpft war. Er sagte: »Wenn es Euch nicht eilt, von mir aus kannst du die Nacht hierbleiben.«
Zum erstenmal horchte die Frau gegen das andere Ende des Tisches. Ihr ruhiges, flaches Gesicht zeigte zwar kein Erstaunen, aber Aufmerksamkeit. Sie richtete ihr Kleid, setzte das Kind auf den Boden und stand auf. Bastian bereute sofort sein Angebot. Er forderte seinen Gast mit einem bestürzten Blick auf, es abzuschlagen. Der aber hielt sich mit einer Hand am Tischbein fest, rückte vom Stuhl auf die Bank, schob mit der freien Hand das nächste Kind seitwärts, so daß alle vier Kinder schnell eins nach dem anderen halb abrutschten, halb von selbst aufstanden, und legte sich dann rasch längelang. Bastian schüttelte den Kopf und stand auf.
Eine Weile liefen Mann und Frau zwischen Küche und Stube hin und her mit Geschirr und Futtereimer. Sie traten unwillkürlich sachte auf. Mit leisen Zurufen hielten sie die Kinder an, sich auszukleiden. Die standen noch immer beim Ende der Bank zusammen und betrachteten den Schlafenden.
Eine Stunde später kam die Frau aus dem Stall. Schwere und leise Atemzüge erfüllten die vier Wände. Alles war zu erkennen. Die Sommernacht war nur eine unschlüssige Stille zwischen zwei Dämmerungen. Die Frau stelltesich auch noch einmal vor die Bank. Sie verschränkte die Arme und sah herunter, auch jetzt ohne Erstaunen, nur aufmerksam. Der Junge hatte sich wohl inzwischen noch einmal hochgerichtet, einen Schuh ausgezogen, den anderen aufgeschnürt. Den aufgeschnürten Schuh hatte er am Fuß hängenlassen und weitergeschlafen.
Die Frau gähnte und ging in die Küche. Von der Küche war durch eine Bretterwand ein Schlafzimmer abgetrennt.
Etwas später kam Bastian herein. Er stellte sich dahin, wo vorhin seine Frau gestanden hatte. Das offene Gesicht des Schlafenden erfüllte sein Herz mit Bestürzung. Manche waren schon durch ein Dorf gekommen, die Böses hinter sich hatten und noch Böseres vor sich. Am liebsten hätte er den Jungen an den Schultern wachgerüttelt und ihn fortgeschickt. Aber er tat etwas anderes: er bückte sich, zog den aufgeschnürten Schuh vom Fuß, stellte den Schuh neben den anderen und legte das herunterhängende Bein neben das andere Bein auf die Bank.
Er glaubte so zu handeln, weil er an Gott glaubte.
III
Wenn man auch Bastian keine großen Strecken ansah, er war doch seinerzeit ziemlich weit herumgekommen. Sein Vater hatte sich durch Arbeit und Heirat heraufgerackert. Er starb aber mit vierzig Jahren an den Folgen eines Huftrittes seines ersten Pferdes, auf dessen Erwerb er noch im Sterben stolz war. Die Merzens freilich, die zwei Pferde hielten, erklärten den Vorfall: Der hat sich auch eingebildet, er versteht mit Pferden umzugehen.
Der älteste Bruder, Konrad, schob den jüngsten, Andreas, in die Lehre ab, nach der Kreisstadt Billingen. Damals war zu erwarten, daß das Dorf einen Schuster mit etwas Landzuschuß ernähren könnte. Andreas hatte bis jetzt nur die Enge der Bauernstube gekannt oder die maßloseWeite der Felder. Nun verengte und erweiterte sich sein Herz zum Umkreis der kleinen Stadt; der bezieht viel Leben ein und läßt noch mehr draußen und macht eben dadurch unruhig. Er dachte, er könnte noch eine Weile fortkommen, wo immer seine Hände mit einem Paar zerrissener Schuhe zusammentrafen. Er zog mainabwärts, dann in den Schwarzwald. Er lernte Hopfenbauern
Weitere Kostenlose Bücher