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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Frau erschrak. Sie erschrak noch mehr, als Naphtel zum erstenmal in seinem Leben vollkommen ruhig dazu sagte: »Einmal kommt jeder dran.«
V
    »Soll ich vielleicht wieder umsonst warten?« – »Nein, Marie«, sagte Johann, »ich bleib bei dir sitzen.« Grade als sie sich in den Wirtshausgarten setzen wollten, fing es zu regnen an. Sie traten in die Wirtsstube. Auch von hier auskonnte man durch die offene Tür zwischen den bräunlichen Platanen über dem trüben Kanal das von Regensträngen verhängte Viereck der Schuhwichsfabrik sehen. »Nein, heute kein Bier. Zwei Tassen Kaffee. Ich hab mir ’ne Mark von ’nem Freund in der Stadt gepumpt.« Er nahm ihre Hand. Sie tranken einen Schluck, ohne sich loszulassen. Johann sagte: »Vielleicht ist’s das letztemal.« Er spürte, wie sich etwas mit ihrer Hand veränderte. Zum erstenmal erblickte er in ihrem Gesicht eine tiefe, ratlose Unruhe. Sie senkte sofort die Lider, als ob sie sich selbst darüber schämte. Dann drehte sie ihr Gesicht ganz weg. Sie nahm die Tasse mit beiden Händen und trank langsam. Als sie fertig war, war ihr Gesicht wieder ruhig.
    Sie sagte: »Wir haben doch beide zusammen in die Stadt gewollt.«
    »Wie soll das werden, Marie? Du aufs Geratewohl in die Stadt, ohne Stelle, ich – im bloßen Hemd?«
    »Ich hab immer zuerst gedacht, ob du vielleicht bei uns daheim – «
    »Euer Paul, dein Vater, das geht doch gar nicht. Du weißt doch.« Er nahm wieder ihre Hand. »Du findest noch einen. Einen guten.« Marie erwiderte ruhig: »Ach, das schon.«
    Sie nahm ihre Hand wieder zurück und legte die Finger ineinander. Zuerst war es mit ihm und ihr gewesen wie sonst auch: damit man nicht allein war. Dann war etwas ganz anderes daraus geworden, sie hatte immer geglaubt, auch bei ihm. Er hatte aber doch bloß immer gedacht, vier-, fünfmal, und dann Schluß, und seiner Wege gehen. Sie aber hatte geglaubt, für jetzt und immer, krank oder gesund, in guten und in schlechten Tagen, bis daß der Tod euch scheidet. Einen Augenblick spürte sie sich selbst und ihr ganzes Leben als einen einzigen scharfen Riß. Im nächsten Augenblick tat es nicht noch weher, sondern fing langsam zu heilen an. Sie fügte sich, sie spürte, daß es vollkommen nutzlos war, sich aufzulehnen, sie gab vonselbst ihre Hand zurück. Sie sagte: »Du wirst mich schnell vergessen.« – »Nie, nie, nie.« Er stand auf. Aber er ging nicht ans Büfett, um zu zahlen, wie sie gefürchtet hatte, er stellte sich in die Tür und sah hinaus. Jetzt war die Fabrik ein Schachbrett aus Lichtern. Hier und dort wird doch noch gearbeitet, fuhr es ihm durch den Kopf. Manche Sachen werden noch immer gebraucht, zum Beispiel Schuhwichs. Er setzte sich wieder und legte den Arm fest um sie. »Ach, Marie.« – »Was denn? Was hast du denn – « – »Nichts, nichts.«
    Sie nahmen sich beide gleichzeitig vor, sich so zu stellen, als ob noch nichts gesagt worden wäre. Sie drückten ihre Gesichter aneinander. Das sanfte gegenseitige Streicheln ihrer Daumen, die zunehmende Dunkelheit, die Lichter hinterm Kanal, der Regen – das alles war doch unaufhörbar, unzerreißbar. Bis Johann laut sagte: »Man muß jetzt zahlen und heimgehen.«
VI
    »Du Schweinigel von einem Weibsbild, du gottverfluchtes Saumensch, du rotes Mistvieh, da bist du in die Irre gegangen, da bist.du mal schiefgewickelt.«
    Zillich hatte seine Leute gesammelt und in den Dorfausgängen aufgestellt. Das rote Auto war zuerst nach dem äußersten Aktionspunkt, nach Beuren, gefahren. Ein Teil der Leute fuhr nach Niederweilerbach, ein kleiner Teil ging zu Fuß mit Wahlmaterial nach Botzenbach.
    »Da ist auch die Rendel, so ’ne Freche! Die möcht mal wohl wieder ’nen Mann spüren, weil ihrer flötengegangen ist. Kann se haben, pack se –« Ein dürrer, blasser Junge hing sich mit seinem ganzen Gewicht an Zillichs Gürtel und biß, wo seine Zähne hintrafen. Zillich hielt die Rendel gepackt, ein kleiner, struppiger SA-Bauer versuchte ihr den Rock hochzuziehen. Zillich schnickte denJungen ab, der rannte ein Stück in die Felder hinein, die andere Gruppe zur Hilfe zu holen. Die Rendel hatte unter ihrem Rock nicht das Blanke, was sie erwartet hatten – dickes, städtisches Unterzeug. »Da, da, da. – Wenn du dich noch mal blicken läßt.« Die Rendel wehrte sich geschickt, ihr Gesicht war blaß und kalt, ganz ohne Erstaunen. Sie starrte mit ihren schwarzen Augen zuerst den Zillich an, dann den kurzen, struppigen Bauer. Der ballte die Fäuste, drückte

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