Bell ist der Nächste
In meinem Büro hängt eine Halskette, eine Kette aus Glasperlen. Sie baumelt am Arm meiner Schreibtischlampe, und bei der kleinsten Bewegung fängt sie an zu schwingen. Die Perlen sind mittelblau, wie der Abendhimmel, und wenn das Licht auf ihnen spielt, wirken sie kühl, hell und lebendig.
Ich werde Ihnen erzählen, woher sie stammen. Elizabeth hat sie getragen, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Das war hier im Büro in Ann Arbor, fünf Stockwerke über der Main Street. Elizabeth ist Detective, und an jenem Abend war sie zum Schauplatz eines Verkehrsunfalls gerufen worden: zerbeultes Metall und zersplittertes Glas und andere zerbeulte und zersplitterte Dinge. Drei Tote, darunter ein Kind. Die Art von Unfall, die man wirklich nicht sehen möchte, die Art, von der man hofft, dass man sie wieder vergessen kann.
Aber sie war vor Ort, und später wollte sie so weit weg wie möglich. Und so kam sie zu mir. Ich war spätabends noch bei der Arbeit und hörte, wie sich die Tür zum Flur öffnete, hörte ihre Schritte, die durch das leere Vorzimmer gingen, und dann stand sie im Eingang zu meinem Büro. Elizabeth ist hochgewachsen, und der lange Mantel, den sie trug, ließ sie noch größer erscheinen. Auf den Schultern des Mantels schmolzen Schneeflocken. Er war offen, und die Bluse, die sie darunter trug, war am Hals aufgeknöpft. Die Finger ihrer rechten Hand spielten mit den blauen Glasperlen an ihrer Kehle. Das war ihre einzige Bewegung; sonst rührte sich nichts an ihr.
Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass irgendetwas nicht stimmte. Ihr Gesicht war blass, und sie trug ihr Haar – schwarz und schimmernd wie ein Rabenflügel – offen. Ich erhob mich von meinem Schreibtisch und ging zu ihr, und ihre Reglosigkeit ließ mich, als ich mich ihr näherte, vor einer Berührung zurückschrecken. Ich wollte ihr schon die Hand auf die Schulter legen, zog sie dann aber wieder zurück.
Träge fiel der Schnee draußen vor meinem Bürofenster. Lange Zeit standen wir so beieinander, und ich stellte ihr keine Fragen. Ich wartete darauf, dass sie mir alles erzählte, und das tat sie dann auch. Sie erzählte mir alles, alles, was sie gesehen hatte. Die Worte sprudelten in einem unaufhaltsamen Strom aus ihr heraus. Ihre Finger wanderten mit jedem schrecklichen Detail eine Glasperle weiter.
Als sie fertig war, wandte sie ihr Gesicht von mir ab. Schüchtern. Beinahe gehemmt. Und ebenso gehemmt trat ich einen Schritt zurück, und weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, bot ich ihr einen Drink aus der Flasche Scotch an, die ich in meiner großen Schreibtischschublade aufbewahre.
Sie wollte aber keinen Drink.
Ich sah zu, wie sie ihren Mantel auszog und über eine Stuhllehne legte. Sah zu, wie sie den Abstand zwischen uns verringerte, den Blick fest auf mich gerichtet. Sie behielt ihre Augen offen, als sie mich küsste; sie waren von dem gleichen Blau wie die Glasperlen. Der erste Kuss war bedächtig, abwartend und vorsichtig. Wir wussten beide, was darin lag: eine Art Trotz. Das ist zutiefst menschlich. Wir erleben den Tod, und wir rebellieren dagegen, wir wollen uns beweisen, dass wir noch leben.
Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, aber ich hatte keine Zeit, ihnen nachzuhängen. Der zweite Kuss war härter und fordernder. Ich spürte, wie ihre Hände von meinen Schultern in meinen Nacken glitten, spürte ihre Finger in meinen Haaren. Sie presste sich an mich, und wir hielten uns fest, und ich konnte ihre Hitze spüren, ihre Vitalität, die gespannte Energie ihres Körpers. Es gibt eine Grenze, bis zu der ich meine Erinnerungen an diesen Abend mit Ihnen teilen will, und ich glaube, wir haben sie gerade erreicht. Der Rest gehört ihr und mir und niemandem sonst. Aber daher stammt diese Halskette, die ich in meinem Büro aufbewahre. Elizabeth hat sie in jener Nacht dagelassen.
Ich erzähle Ihnen das aus einem ganz bestimmten Grund. Es hat mit Motiven zu tun.
Wenn man diese Halskette zu einem Juwelier bringen würde, würde er sagen, dass sie nichts wert ist. Die Perlen sind bloß aus Glas, und sie sind auf einer Schnur aufgereiht. Und einerseits weiß ich natürlich auch, dass das stimmt.
Aber genauso weiß ich, dass ich andererseits, sollte ein Dieb versuchen, mir diese Perlen zu stehlen, alles in meiner Macht Stehende tun würde, um ihn daran zu hindern. Ich würde nicht zögern, ihn zu töten, wenn das nötig wäre.
Diese Geschichte muss ich erzählen – sie handelt nicht von einer Halskette.
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