Der Kopflohn
zusagen.« Der alte Merz sagte: »Fliegt doch nichts davon. Man muß sich doch die Sache durch den Kopf gehen lassen.« Das war es gerade, was Naphtel befürchtet hatte. Er hätte sich dem alten Merz zu Füßen werfen mögen und ihn anflehen, er hätte in seine Stirn hineinbohren mögen, in sein Gehirn aus Granit einmontieren, was für alle drei das Allernützlichste war.
Er sagte nur: »Ich habe Sie noch nie im Leben schlecht beraten.«
»Das wär gelacht, Herr Naphtel.« Er fragte sich im stillen, ob es wirklich nötig sei, das Haus herzugeben. Es war ein Zufallsbesitz, sogar ein leidiger. Aber es war doch was, sonst hätte sich nicht noch ein zweiter Mann gefunden. Was wollte dieser Mann mit seinem Haus? Könnte er nicht dasselbe machen? Er brauchte freilich Bargeld. Gott weiß, was der Amerikaner und der Naphtel zusammen ausgekocht hatten. Angst erfaßte ihn, die einzige, die er kannte: etwas zu lassen, was sein war.
Naphtel sagte verzweifelt: »Sie sollten mir wenigstens eine Vollmacht geben, mit dem Mann zu verhandeln. Das will er. In der Zwischenzeit können Sie ja nachdenken: Wir können ja doch keinen Vertrag ohne Ihre Unterschrift machen.« Merz sagte wütend: »Das wär so was.« Naphtel fuhr verzweifelt fort: »Er will natürlich den Kastrizius aus dem Haus haben, weil er den Laden selbst braucht.« Merz wurde vergnügter. Aus irgendeinem Grund gefiel ihm dieser Umzug. Kastrizius war immer unterwegs gewesen, wenn er obenauf war. Er hatte sich seinerzeit bei Kastrizius versorgt mit Maschinen, Gerätschaften – aber bei dem alten Merz kamen die Leute, die er selbst angeschmiert hatte, noch hinter den Leuten, die ihn anschmierten. Trotzdem erwiderte er zögernd: »Es ist schon viel zu spät, um wegen der Vollmacht zum Erler hinaufzugehen. Ich muß beizeit heim.«
In diesem Augenblick erhob sich der Elster von seinem Tisch, an dem er mit dem Rücken zu Naphtels Tisch gesessen hatte, und trat heran. »Verzeihung, die Herren. Man muß da nicht zu Erler gehen. Es genügt doch vollkommen, aufs Amt zu gehen. Der Herr Merz kann seine Vollmacht schreiben, und man kann sie dort beglaubigen.« Naphtel runzelte die Stirn, dachte aber, daß Elster recht hatte. Er sagte: »So ist’s.« Und grob: »Laß uns allein.« Elster setzte sich ruhig wieder an seinen Tisch. Er wölbte den Rücken gegen den fremden Tisch, als hätte er Ohren in den Schulterblättern. Merz fragte: »Ihr Sohn oder Ihr Neffe?« – »Mein Schwiegersohn.« Er stand auf. »Wenn’s recht ist, Herr Merz –« Sie liefen hintereinander um das Billard. Der alte Merz hatte jetzt einen heftigen Widerwillen, ein Geschäft abzuschließen. Sollte doch alles gehen, wie es ging, irgendwie zusammenhalten, solange er selbst zusammenhielt. Keine solchen Händel sein Lebtag mehr, die die Sachen zusammenmischten und huddelten. Er wollte so schnell wie möglich heim. Er ging nur deshalb mit Naphtel auf die Straße. Schon war der Markt aufgelöst. Der Kot wurde schon zusammengekehrt, die letzten Gruppen von Vieh und Menschen setzten sich in Bewegung. Die Wagen stauten sich in den Seitengassen, an den Gittern rieben die wiederaufgeladenen Tiere ihre Mäuler. Viele Wagen hatten auf den Seitenflächen Klebezettel weggekriegt. In den Händen der Bauern, um deren Gelenke sich die Zugstricke wickelten, steckten Flugblätter. In den gewöhnlichen Marktlärm klapperten die Sammelbüchsen – »Gebt für den Wahlfonds!« Auf dem Stadthaus waren die neuen Wahlplakate teils angeklebt, teils schon in Streifen gerissen.
Der alte Merz dachte: Heim, so schnell wie möglich. Naphtel schob ihn die Stufen hinauf zum linken Stadthauseingang. »Gleich gemacht, Herr Merz.« Er spürte, daß ihm der alte Merz davongehen wollte. Er rief erbittert Gott zu Hilfe, daß diese Angelegenheit glatt zu Endeging, daß er heute abend seiner Frau sagte: »Es wird was!«
Eine knappe halbe Stunde später kamen beide mit weißen Bogen in der Hand aus dem Amtszimmer. Naphtel versuchte seine gute Laune zu verbergen, der alte Merz seine Mißstimmung. Sie waren grade die Hälfte des langen Ganges hinuntergekommen, als sie plötzlich ihre Launen vertauschten. Naphtel dachte, daß eigentlich überhaupt nichts erledigt war, weil der alte Merz sicher im letzten Augenblick keine Unterschrift unter den Vertrag setzte. Genau dasselbe hatte der alte Merz gedacht, und dieser Gedanke belustigte ihn. Naphtel brachte den alten Merz dazu, sich neben ihn auf eine der Bänke unter den Fenstern zu setzen. Er begann
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