Der Kraehenturm
den mit Speisen beladenen Tisch saßen. Maleficium hockte zuerst auf Icherios’ Schulter, um dann von einem zum anderen zu wandern und sich mit Leckereien füttern zu lassen.
Während Franz ein gewagtes Gebilde aus Zucker, Honig und Früchten aufschnitt, wagte Aurax eine Frage zu stellen, die Icherios schon lange auf der Zunge brannte. »Wie wird es mit dem Magistratum weitergehen?«
Die Werratte legte ein Stück des Desserts auf einen Teller. »Hier ist meine Heimat. Ich werde versuchen, es wieder aufzubauen.«
»Ich könnte Euch dabei helfen«, bot Tinuvet an. »Ich bin noch immer an die Stadt gebunden, und die Unsterblichkeit langweilt mich. Es ist an der Zeit, etwas Sinnvolles mit meinem Leben anzufangen.«
»Ich habe Euch mit dem Doctore gesehen.« Icherios’ Anklage hing einen Moment im Raum.
»Dennoch hat er uns geholfen«, wandte die Werratte ein.
»Lasst es mich erklären«, bat Avrax, stand auf und lehnte sich an ein Regal. Dann erzählte er ihnen die Geschichte, wie er zu diesem seltsamen Wesen wurde. »Nachdem ich unzählige Jahre versucht hatte, mein eigenes Grab zu finden, kontaktierte mich der Doctore. Er war womöglich noch älter als ich und behauptete, den Aufenthaltsort meines Sargs zu kennen.«
»Und das habt Ihr ihm geglaubt?«, fragte Gismara.
»Nicht sofort, aber er bewies es, indem er eine Nadel durch meinen Leib bohren ließ und ich zum ersten Mal seit Jahrhunderten Schmerz verspürte.«
»Was habt Ihr für ihn getan?«, fragte Icherios.
»Nicht viel, er verlangte einzig, mich aus seinen Angelegenheiten rauszuhalten, doch als ich Carissima kennenlernte …«, seine Stimme brach, und er holte tief Luft. »Ich wollte nicht sehen, wie ihr Leid zugefügt wird, und Euch Tod«, er blickte den jungen Gelehrten an, »hätte sie sehr geschmerzt.«
»Eines verstehe ich noch immer nicht«, sagte der Hexenjäger. »Warum musste Zacharas sterben?«
Gismara legte ihm eine Hand auf den Arm. »Genau werden wir es nie wissen, aber dein Bruder fürchtete um meine Seele und bat Auberlin ständig darum, mich gehen zu lassen. Vermutlich war er Auberlin lästig, und er brauchte ohnehin ein Opfer, um den Schattenverschlinger zu erzeugen, also löste er damit zwei Probleme zugleich.«
»Oder er hörte etwas, das nicht für seine Ohren bestimmt war«, ergänzte Icherios. »Ebenso, wie es anscheinend mit Vallentin der Fall gewesen war.«
»Dein Freund war ein guter Kerl.« Franz hielt ihm mit einem treuherzigen Lächeln einen Teller mit Nachtisch hin. »Es tut mir leid, dass ich mich nie gewundert habe, warum er einfach seine Anstellung beim Ordo Occulto aufgab. Aber was wirst du nun machen?«
Der junge Gelehrte nahm den Teller entgegen. »Ich werde Freyberg bitten, mein Studium hier fortsetzen zu dürfen. Ich will noch immer Mediziner werden und irgendwann das Band zwischen mir und dieser seltsamen Maschine lösen, damit ich mich von dem Strigoi befreien kann.«
»Ich sehe schon, es wird nicht langweilig«, lachte Gismara. »Silas und ich werden einige Zeit aus Heidelberg verschwinden, damit die Menschen das Gesicht des Diakons von Hohenweide vergessen.« Sie drückte die Hand des Hexenjägers. »Doch irgendwann werden wir zurückkehren.«
Die verbleibenden Stunden bis zum Sonnenaufgang verbrachten sie mit lustigen Geschichten. Icherios fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich geborgen im Kreis dieser seltsamen Wesen. Auch wenn noch viel Arbeit vor ihm lag, hatte er das Gefühl, seinen Platz im Leben gefunden zu haben.
Nachwort und Danksagung
In diesem Roman habe ich mich zum ersten Mal an eine real existierende Stadt als Haupthandlungsort gewagt und mich bemüht, mich möglichst an die Fakten zu halten, obwohl ich keine Historikerin bin. So befand sich die Heidelberger Universität zu dieser Zeit tatsächlich in einer Krise, was es mir allerdings erschwerte, Informationen über den Ablauf eines gewöhnlichen Studiums zu finden, wodurch viele Einzelheiten meiner künstlerischen Freiheit entsprangen. In anderen Punkten bin ich bewusst von historischen Tatsachen abgewichen, um eine spannende Geschichte bieten zu können. So gab es weder einen Karzer an der beschriebenen Stelle, noch entsprechen die Legenden vom Hexenturm der Realität.
Wer jedoch auf den Spuren von Icherios wandeln möchte, der sei herzlich dazu eingeladen, das Heidelberger Schloss, die Domus Wilhelmiana, den Hexenturm, den Bittersbrunnen, das Heidenloch und die beiden Klöster auf dem Heiligenberg zu besuchen. Ein
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