Der Kraehenturm
den Mörder Eurer Gefährtin zu fassen. Er starb heute Nacht, doch nun brauche ich Eure Hilfe.«
Zuerst war nichts zu sehen. Die Nixen und Untoten führten einen verbissenen Kampf, in dem sich abzeichnete, dass die Wassergeborenen ihn verlieren würden. Zu viele verunstaltete Leichen wimmelten im Wasser, und immer wieder stiegen neue aus den schwarzen Tiefen empor. Dann tauchten die Köpfe von drei wunderschönen, jungen Frauen mit vollen Lippen und eigentümlich großen, schräg stehenden Augen aus dem Neckar auf. Sie glitten auf das Ufer zu, offenbarten dabei schlanke Glieder, üppige Brüste und eine grünlich schimmernde Haut.
»Nixen«, hauchte Franz.
»Sie sehen aus wie Menschen«, sagte Silas.
»Es ist Neumond«, erklärte Icherios. »In dieser Nacht vermögen sie die Gestalten von Frauen anzunehmen, um sich zu paaren.«
»Das würde Oswald gefallen«, murmelte der Hexenjäger grinsend.
Die Wassergeborenen gingen selbstsicher auf die Gruppe zu, ignorierten Silas’ gezücktes Schwert und blieben einen Schritt vor dem jungen Gelehrten stehen.
»Wir danken Euch für den Tod des Mörders. Das Wasser sang, als er starb.«
Icherios nickte verlegen. Es beschämte ihn, dass sie ihm dankten, obwohl er so wenig dazu beigetragen hatte, aber jetzt war nicht die Zeit, darüber zu diskutieren.. Er erkannte das Gesicht der Nixe, die zu ihm sprach. Es war dieselbe, die er zuvor getroffen hatte. »Ich habe eine Bitte.« Er gab Gismara einen Wink, und sie holte den Ring hervor. »Hazecha sagte uns, dass Ihr den Zwilling von diesem Ring besitzt. Wir brauchen ihn, um großes Unheil abzuwenden.
Die Wassergeborenen tuschelten in einer seltsamen Sprache voller Zischlaute miteinander, dann wandte sich ihre Anführerin erneut an den jungen Gelehrten. »Er wurde uns vor Jahrhunderten anvertraut, aber unsere Schuld wiegt schwer. Ich werde Euch den Ring für diesen Mondlauf überlassen, bringt ihn uns danach zurück, oder das Wasser wird Euch töten.«
»Ich verspreche es bei meinem Leben.« Icherios verneigte sich feierlich. Die anderen folgten seinem Beispiel, während sie dabei die Vorgänge um sie herum im Auge behielten.
Die Nixe nickte zufrieden, dann flüsterte sie ein Wort, und die Luft entflammte in einem blauen Feuer, das sich zu einem verschlungenen Symbol zusammenzog. Sie reckte die Arme gegen den Himmel und blickte zu den Sternen empor. Ein Stöhnen kam über ihre Lippen, als sich ihr Brustbein ausbeulte und die Haut darüber aufbrach. Grünes Blut sickerte aus der Wunde, während sich aus dem Fleisch und den Knochen der Ring schälte und auf den Boden fiel. Der junge Gelehrte vermochte nicht wegzuschauen, als die Knochen wieder zusammenwuchsen und sich die Wunde schloss. Die Wassergeborene senkte die Arme, hob den Ring auf und überreichte ihn Icherios.
»Viel Glück.« Sie deutete auf die hinter ihr tobende Schlacht. »Wir müssen zurück und unseren Schwestern beistehen.«
»Danke.« Der junge Gelehrte wollte noch mehr sagen, doch der Hexenjäger packte ihn am Arm. »Wir müssen uns beeilen.«
Sie kamen unbehelligt bis zur Heiliggeistkirche, dann vernahm Icherios Schritte und ein widerwärtiges Schmatzen.
»Hört ihr das?«
»Die Laute kommen mir bekannt vor.« Raban runzelte die Stirn. »Lauft! Ghoule!«
Doch die Warnung kam zu spät. Von allen Seiten strömten die halb zerfallenen Kreaturen mit den langen spitzen Zähnen und den scharfen Klauen, die direkt aus ihren Fingerknochen zu wachsen schienen, auf den Platz vor der Kirche.
»Die Toten des Heiligenbergs«, krächzte Icherios. In Dornfelde hatte er bereits unangenehme Erfahrungen mit diesen Bestien gemacht, die nur der Wunsch nach Menschenfleisch beherrschte.
»Ich werde sie aufhalten.« Avrax blickte sie ernst an. »Sobald ich sie abgelenkt habe, rennt ihr zum Hexenturm. Meine Kraft wird nicht reichen, um euch dort zu unterstützen.«
Sie stimmten zu. Es blieb ihnen keine Wahl. Schon drangen Schreie des Entsetzens aus den umliegenden Häusern, als die Ghoule Fenster zerschmetterten und über die Menschen herfielen.
»Gib mir dein Schwert«, bat Avrax den Hexenjäger. Silas gehorchte ohne zu zögern. Er führte ausreichend Klingen mit sich, um eine kleine Armee damit versorgen zu können.
Dann stürmte der Glasfürst in die Menge der Ghoule, sang ein altes Schlachtlied, während er sich durch ihre Reihen mähte und deren Köpfe und Gliedmaßen abtrennte. Ein lautes Geheul erklang, und die Bestien stürzten sich auf ihn. Doch wann immer es
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