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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Wenn die Seele verbrennt, bleibt nicht einmal Asche
    Er spielte im Wohnzimmer, einem großen, hellen Raum mit zwei Fenstern, spärlich eingerichtet mit alten, verschrammten Möbeln. Der Teppichboden abgetreten, die Farben verblaßt, die Wände, bis auf ein Bild von Großvater, von vergilbtem Weiß und leer, von der Decke baumelte eine 25-Watt-Birne unter einem geflochtenen Bastschirm, den eine alte Zigeunerin hiergelassen hatte. Auf dem Tisch ein paar zerlesene Zeitungen, Mode- und Klatschblätter, der Aschenbecher quoll über von Stummeln und Asche. Ein Schaukelstuhl, in dem nie jemand saß, stand in der Ecke neben der alten, staubigen Kommode, deren Holz voller Kerben und Schrammen war. Er fuhr mit seinem Holzauto über den mit Brot- und Kekskrümeln übersäten Boden, seit Wochen hatte seine Mutter nicht mehr gesaugt, und dabei ahmte er mit dem Mund die Geräusche eines vorbeidonnernden Trucks nach. Die Sonne fiel in breiter Bahn ins Zimmer, trockene Hitze. Er rutschte auf den nackten Knien, drückte mit seiner Hand fest auf das Spielzeug. Mit einem mal hielt er inne, zuckte zusammen, hob den Kopf ein wenig, ein schwarzer Schatten vor der Fliegengittertür verdunkelte den vorderen Teil des Zimmers. Kräftiges Klopfen gegen den Holzrahmen, ein durchdringendes, trockenes Hämmern, das ihm durch Mark und Bein ging und in seinen Ohren dröhnte. Er erstarrte. Seine Mutter tänzelte zur Tür, nicht ohne vorher ihre Zigarette ausgedrückt zu haben, strich den Rock gerade, zupfte an der Bluse, betrachtete sich kurz im Spiegel, schien zufrieden mit ihrem Äußeren und öffnete die Tür. Der Mann trat ein, er war sehr schlank, doch muskulös, mindestens anderthalb Kopf größer als sie. Er faßte sie kurz mit kräftigem Griff am Kinn, dann blickte er ins Zimmer.
»Schön, daß du da bist«, hauchte sie. Der Mann deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Jungen. »Was macht der hier?« Harte Stimme, böser Blick. »Er spielt.« »Ich habe dir doch deutlich genug gesagt, daß ich ihn nicht sehen will! Schick deinen kleinen Bastard weg!« »Ja, ja, schon gut. Komm, Spatz, du gehst jetzt rüber in das andere Zimmer. Es wird nicht allzulange dauern.« Er kroch mit vor Angst geweiteten Augen auf dem Hosenboden ein paar Zentimeter zurück, bis er an die Couch stieß. Er zitterte, wollte etwas sagen, doch seine Kehle war wie zugeschnürt, alles in ihm schien zu Eis zu erstarren. »Los, steh auf und komm!« sagte sie etwas lauter und faßte ihn am Arm.
Er versuchte, sich so schwer zu machen, daß sie ihn unmöglich würde fortziehen können, aber sie war stärker. »Verdammt, ich will nicht immer das gleiche Spiel mit dir spielen! Du wirst jetzt machen, was ich dir sage, sonst passiert dir was! Hast du das verstanden?!« »Hau ihm eins hinter die Ohren, dann kapiert er's schon!« »Halt du dich aus meiner Erziehung raus!« keifte sie ihn an. »Das geht nur den Jungen und mich etwas an! Du wirst schon noch zu deinem Vergnügen kommen! Los jetzt, komm!« Der Junge erhob sich zögernd, den Blick ängstlich auf den Mann mit der drohenden Haltung gerichtet, auf die riesigen Hände, so groß wie Pizzateller. Der Mann ließ sich auf die Couch fallen, spreizte die Beine, nahm seinen Hut ab und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Der Junge wußte nicht, was der Mann vorhatte, aber es wirkte bedrohlich. Die Mutter zog den Jungen hinter sich her, riß die Tür auf, er hielt sich mit seiner kleinen linken Hand an dem morschen Türrahmen fest, doch die Mutter schubste ihn einfach mit einem kräftigen Stoß hinein. Sie schloß die Tür sofort wieder und drehte den Schlüssel herum. Der Raum war dunkel und brütend heiß, die Fensterläden von außen verriegelt, die Griffe am Fenster abgeschraubt. Nicht einmal ein winziger Sonnenstrahl fiel herein, um wenigstens ein klein bißchen Licht in die furchterregende, erdrückende Finsternis zu bringen. Er trommelte wie immer gegen die Tür und schrie: »Mama, laß mich hier raus, laß mich hier raus, ich will hier raus!« Er schrie vielleicht zwei Minuten, bis der Mann an die Tür kam, dagegentrat, daß Tür und Rahmen erzitterten, das ganze Haus zu vibrieren schien, und zischte: »Wenn du nicht endlich deine gottverdammte Schnauze hältst, reiß ich dir deinen kleinen Arsch auseinander!« Und nach einer kurzen Pause: »Oder ich mach mit dir das gleiche, was ich mit deiner Mutter mach, elender Bastard!«
Und wie immer sank der Junge zu Boden, und wie immer kauerte er sich in eine Ecke, und wie immer

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